TEST // BRASS: LANCASHIRE
BRASS: LANCASHIRE ist die überarbeitete Neuauflage des Klassikers „Kohle – Mit Volldampf zum Reichtum“ von 2008. Erneut geht es zum Anfang der industriellen Revolution in England, genauer gesagt in die Grafschaft Lancashire. Um zu einem erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen aufzusteigen, muss eine zuverlässige Versorgung mit Kohle sichergestellt werden. Hierzu gilt es, das eigene Netzwerk auszubauen und die Städte mit Kanälen zu verbinden. Doch was ist das? Die Erfindung der Eisenbahn lässt die Kanäle bald alt aussehen. Schnell muss auf den neuen Zug aufgesprungen werden, um gegen die Konkurrenz zu bestehen.
GIANT ROC hat uns BRASS LANCASHIRE freundlicherweise für eine Rezension zur Verfügung gestellt.
Dies hat keinen Einfluss auf unsere Bewertung!
Eisen, Kohle und Baumwolle
In BRASS: LANCASHIRE übernehmen 2-4 Spieler jeweils die Rolle einer Persönlichkeit der industriellen Revolution. Als diese müssen sie ihr Wirtschaftsunternehmen ausbauen und sich gegen die Konkurrenz durchsetzen, um am Ende die meisten Siegpunkte zu erlangen. Gespielt wird über zwei Epochen, die in Abhängigkeit von der Spieleranzahl aus jeweils 8-10 Runden bestehen.
Zu Beginn des Spiels erhält jeder ein eigenes Spielertableau, auf dem die Industrieplättchen (Baumwollspinnerei, Hafen, Werft, Eisenhütte und Kohlebergwerk) platziert werden. Außerdem bekommen alle Spieler £30 sowie acht Handkarten. Das Spiel beginnt in der Kanalepoche, in dessen erster Runde eine Aktion pro Spieler ausgeführt wird, in allen weiteren Runden je zwei Aktionen. Bei jeder Aktion muss eine Karte ausgespielt werden, wobei nur bei der Aktion „Bauen“ eine passende genutzt werden muss. Dabei stehen sechs verschiedene Aktionen zur Verfügung, die in beliebiger Kombination, auch doppelt, ausgeführt werden dürfen:
Bauen: Bei dieser Aktion darf das unterste Industrieplättchen eines Industriezweigs gebaut werden, wenn die Kosten dafür bezahlt werden. Bei dem Bau von Eisenhütten oder Kohlebergwerken werden die entsprechenden Marker auf diesen platziert. Wird eine Ortskarte ausgespielt, wird in die entsprechende Stadt gebaut, wobei in der Kanalepoche nur ein Industrieplättchen pro Spieler pro Stadt platziert werden darf. Bei einer Industriekarte (Baumwollfabrik, Hafen, Werft, Eisenhütte oder Kohlebergwerk) darf das entsprechende Feld einer Stadt, die an das Netzwerk des Spielers angrenzt oder Teil des Nerzwerkes ist, bebaut werden. Zusätzlich dazu gibt es die Möglichkeit, zwei Karten auszuspielen und an einem beliebigen Ort seines Netzwerks zu bauen, wodurch in diesem Zug nur eine Aktion statt zwei zur Verfügung steht. Wird Kohle benötigt, so muss der entsprechende Kohlemarker über ein Streckennetz direkt mit dem Ort oder der Verbindung verbunden sein. Eisen kann ohne Anbindung bezogen werden.
Verbinden: Bei der Aktion „Verbinden“ darf ein Verbindungsplättchen zwischen zwei Städte platziert werden. In der Kanalepoche darf ein Kanalplättchen für £3 platziert werden. In der Eisenbahnepoche dürfen ein Eisenbahnplättchen für 1 Kohle und £5 oder zwei Eisenbahnplättchen für 2 Kohle und £15 bei einer Aktion platziert werden. Wie beim „Bauen“ muss die Kohle durch eine Verbindung mit einem Kohlebergwerk oder dem freien Markt vorhanden sein. Mindestens eine dieser Städte muss Teil des eigenen Netzwerks sein. Ein Ort ist immer dann Teil des eigenen Netzwerks, wenn ein Industrieplättchen in diesem liegt oder ein Verbindungsplättchen zu diesem führt.
Entwickeln: Beim „Entwickeln“ werden 1-2 Eisenwürfel von einer beliebigen Eisenhütte entfernt oder, sofern dieses nicht möglich ist, vom freien Markt gekauft. Dann dürfen entsprechend 1 oder 2 Industrieplättchen nach Wahl vom eigenen Spielertableau entfernt werden, wobei immer die niedrigste Stufe der entsprechenden Industrie zuerst entfernt werden muss.
Verkaufen: Zum „Verkaufen“ wählt der Spieler eine eigene Baumwollspinnerei und einen verbundenen, nicht umgedrehten (eigenen oder fremden) Hafen oder fernen Markt. Beim „Verkaufen“ über den Hafen werden sowohl die Baumwollspinnerei als auch der Hafen umgedreht. Wird über den fernen Markt verkauft, wird das oberste Baumwollhändler-Plättchen umgedreht und der Baumwollmarker entsprechend viele Felder weitergesetzt. Landet der Marker bei dem „X“, ist die Aktion sofort beendet und es darf ab sofort nicht mehr über den freien Markt verkauft werden. „Verkaufen“ darf bei einer Aktion beliebig oft wiederholt werden, sofern weitere eigene, nicht umgedrehte Baumwollspinnereien in Kombination mit nicht umgedrehten Häfen verbunden sind oder das „X“ des freien Marktes noch nicht erreicht wurde.
Kreditaufnehmen: Um einen „Kredit“ aufzunehmen, wird der Einkommensmarker um 1-3 Einkommensstufen heruntergesetzt und der Spieler erhält einmalig £10-£30.
Passen: Anstatt eine Aktion auszuführen, darf gepasst werden. Wie bei allen anderen Aktionen muss trotzdem eine Handkarte abgelegt werden.
Das Geld, welches ein Spieler während einer Runde ausgibt, wird auf das entsprechende Spielerplättchen gelegt. Die Reihenfolge für die nächste Runde wird hierdurch bestimmt. Der Spieler mit den geringsten Ausgaben wird Startspieler. Je mehr die anderen Spieler ausgegeben haben, desto später sind sie in der nächsten Runde an der Reihe. Außerdem erhält jeder Spieler am Ende der Runde Einkommen entsprechend seiner Einkommensstufe. Gespielt wird bis der Nachzugstapel leer ist und alle Handkarten ausgespielt wurden. Dann endet die Epoche und es findet eine Wertung statt. Nach der Wertung der Kanalepoche werden alle Industrieplättchen der Stufe 1 sowie alle Kanalplättchen vom Spielbrett entfernt. Bisher nicht ausgespielte oder entfernte Industrieplättchen der Stufe 1 bleiben auf den Spielertableaus liegen. Dann werden alle abgelegten Karten gemischt und die Eisenbahnepoche beginnt.
Ziel ist es bei dem Spiel, sein Netzwerk auszubauen, da jedes Verbindungsplättchen in der Wertungsphase Siegpunkte entsprechend der angrenzenden Verbindungssymbole einbringt. Jedes umgedrehte Industrieplättchen enthält ein Verbindungssymbol und Orte ohne vorgesehene Bauplätze (beispielsweise Blackpool) enthalten zwei Verbindungssymbole. Umgedrehte Industrieplättchen bringen ebenfalls Siegpunkte. Außerdem erhöhen die Industrieplättchen beim Umdrehen das Einkommen um verschieden viele Schritte auf der Siegpunkteleiste. Kohlebergwerke und Eisenhütten werden umgedreht, wenn auf diesen keine Marker mehr liegen. Eine Werft wird beim Bau direkt umgedreht, Häfen zusammen mit Baumwollplättchen durch das Verkaufen.
Spielmaterial
Die Spielschachtel enthält keinen Sortiereinsatz, dafür ist sie nicht größer, als sie sein muss. Die Spielkarten mit Leinenprägung in der Größe 63,5mm × 89mm passen mit Hüllen in die Box. Die Industrieplättchen und die Spielertableaus sind aus dicker Pappe. Die Illustrationen sind sehr dunkel, wodurch nicht immer alles gut zu erkennen ist, passen jedoch sehr gut zum Thema. Die Anzahl an orangenen und schwarzen Marker ist knapp bemessen, so dass diese insbesondere im Spiel zu viert ausgehen können. Außerdem können die Einkommensmarker leicht mit den Siegpunktmarkern verwechselt werden.
Die Spielanleitung enthält am Anfang zwei Seiten zu den acht historischen Personen, die auf den Spielerplättchen abgebildet sind, und unterstreicht damit den thematischen Hintergrund. Das Regelwerk ist an einigen Stellen nicht eindeutig und hätte verständlicher geschrieben werden können. Die Hinweise auf der letzten Seite sind hilfreich, hätten aber gewiss noch einige weitere wichtige Aspekte beinhalten können.
BRASS: LANCASHIRE ist ein sehr durchdachtes Wirtschaftsspiel, welches durch den historische Bezug auch thematisch punkten kann. Neben dem historischen Hintergrund, der durch die Beschreibungen der Persönlichkeiten der industriellen Revolution in der Spielanleitung an Tiefe gewinnt, trägt die optische Darstellung zur Atmosphäre bei. Das Spielbrett und die Spielertableaus sind zwar sehr dunkel gehalten, passen dadurch aber thematisch gut. Hilfreich zur schnellen Orientierung bei den verschiedenen Gebieten ist der farbige Hintergrund der Stadtnamen.
Die Spielregeln sind nicht optimal beschrieben, so dass sich schnell einige Fehler in der ersten Partie einschleichen können und die Regeln erst während der ersten Spielrunden klar werden. Die Grundlage der Aktionsmöglichkeiten ist schnell verstanden. Dabei sorgen die Kombinationen dieser und die Interaktion mit dem Gegner für eine hohe Komplexität und viele Möglichkeiten, so dass Strategen auf ihre Kosten kommen. Genau diese Interaktionen gepaart mit dem unterschiedlichen Bebauungsverlauf durch die Handkarten sorgen für einen hohen Wiederspielreiz. Für das Spiel zu zweit gibt es einen zusätzlichen Spielplan auf der Rückseite, der seinerzeit von der Brass-Spielergemeinde entwickelt wurde.
Die Grundmechanik, zwei Aktionen pro Zug für jeweils eine Karte auszuführen, ist simpel. Hierbei die beste Kombination und Taktik zu erkennen, kann zu einer gewissen Wartezeit führen. Diese kann aber genutzt werden, um seinen eigenen nächsten Zug zu planen. Allerdings ist dies nicht immer uneingeschränkt möglich, da der gegnerische Zug oft berücksichtigt werden muss. Bei einem interaktiven und kopflastigen Spiel lässt sich dieses nur schwer verhindern. Für mich waren die Wartezeiten bislang nicht so störend, als dass der Spielspaß darunter gelitten hätte.
Das Spiel lebt von der Interaktion mit den Mitspielern und dem spannenden Ausbau des eigenen Netzwerkes, der in jedem Spiel anders abläuft. Immer wieder stellt sich die Frage: „Selber bauen oder Industrien von Mitspieler nutzen?“ Ein Gebäude selber zu bauen, kann dazu führen, dass andere eigene Gebäude erst später umgedreht werden und der Einkommensbonus erst in einer der Folgerunden zum Tragen kommt. Die Industrien von Mitspielern zu nutzen, hilft einem schneller, das eigene Einkommen zu steigern, steigert aber ebenfalls das Einkommen des Besitzers der Industrie. Bei einem Spiel zu zweit wird eher versucht, seine eigenen Gebäude und Rohstoffe zu nutzen und nicht dem Gegner zu helfen. Mit steigender Spieleranzahl wird es lukrativer, auf fremde Rohstoffe und Gebäude zuzugreifen. Hierdurch ist es möglich, seinen Fokus stärker auf einen Industriezweig zu legen. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass das Kanalnetz auf dem 2-Spieler Plan auf der Rückseite deutlich kleiner ist und somit die Verbindungsplättchen an Wichtigkeit gewinnen. Mir persönlich gefällt das Spiel mit allen Spieleranzahlen, also auch die beiden 2-Spieler-Varianten, weswegen ich alle Varianten und Spieleranzahlen weiterempfehlen kann.
Bei dem Spiel gefällt mir sowohl die thematische Umsetzung als auch das Spielgeschehen, bei dem jede Entscheidung den weiteren Verlauf beeinflusst. Der Übergang und das Aufräumen des Spielplans zwischen den Epochen ergibt historisch Sinn und muss in die eigene Strategie eingeplant werden.
Ein Kritikpunkt könnte der Preis von rund 60€ sein. Bei BRASS: LANCASHIRE handelt sich um eine überarbeitete Neuauflage von „Kohle – Mit Volldampf zum Reichtum“, welches damals für ungefähr die Hälfte des Preises erhältlich war. Die Illustrationen sind in der neuen Version deutlich passender und nicht mehr so bunt wie bei der alten Auflage. Das Material ist hochwertiger, die Karten haben Leinenprägung und die Spielertableaus sind eine sinnvolle Ergänzung. Bei dem Preis ist für mich allerdings unverständlich, dass lediglich eine sehr begrenzte und teilweise unzureichende Anzahl an Kohle- und Eisenmarkern zur Verfügung steht. Die Verwechslungsgefahr zwischen den Einkommens- und Siegpunktemarkern ist ein weiterer Kritikpunkt und hätte besser gelöst werden können. Ein Sortiereinsatz wäre für die ganzen Industrieplättchen hilfreich gewesen, um den Spielaufbau zu beschleunigen.
Insgesamt ist BRASS: LANCASHIRE ein sehr gutes Wirtschaftsspiel, bei dem die negativen Aspekte eher die Materialausstattung im Verhältnis zum aufgerufenen Preis betreffen. Spielerisch lässt sich, abgesehen von der eventuell aufkommenden Wartezeit durch sehr optimierungsbedürftige Mitspieler, nicht viel kritisieren. Wer ein strategisch anspruchsvolles und thematisches Spiel mit viel Interaktion sucht, sollte hier über einen Kauf nachdenken.
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Bilder vom Spiel
Tags: Ressourcenmanagement, 60-120 Minuten, Wirtschaftsspiel, 2-4 Spieler, Eurogame, Strategie