Test | Stuff & Nonsense
Es ist wieder einer dieser Tage, die ich im großen Prunksaal des Londoner Abenteurerclubs verbringe. Umringt von einer gebannten Menge abgehobener Snobs präsentiert sich Professor Elemental wieder einmal als furchtloser Abenteurer, der allen Gefahren trotzt und faszinierende Einblicke in fremde Kulturen gewonnen hat. Dabei ist er allenfalls der größte Hochstapler, den diese Räume je beherbergt haben! Doch ich kenne sein Geheimnis und werde ihm den Rang ablaufen! Denn in „Stuff and nonsense“ wird die ganze Welt zu einem Dorf und mit genügend Phantasie zu einem kurzweiligen Spaß.
Wir haben "Stuff & Nonsense" selbst gekauft.
Dies hat keinen Einfluss auf unsere Bewertung!
Zum Glück hatten wir die Soße dabei
In fast jedem Freundeskreis oder jeder Familie finden sich diese Personen, die ihre geliebten Mitmenschen stundenlang mit Fotos vom letzten Urlaub martern. Zum Glück oder auch zum Leidwesen der Zuhörenden, wurden die drögen Diavorträge vergangener Tage durch Slideshows mit Überblendungseffekten und fetzigen Technobeats abgelöst. Das kommentierte Betrachten der Urlaubsfotos hat aber überdauert. Diese Praxis scheint der Prunksucht in jenen Menschen und einem gewissen Informationsdrang zu entspringen und ist wohl jedem Menschen in verschiedenen Härtegrade zueigen. Und genau in diese Kerbe schlägt auch „Stuff and nonsense“.
Im tiefen Herzen ein Set-Sammelspiel, gelingt es „Stuff and nonsense“ durch sein Thema einen humorvollen Kurs einzuschlagen. Es geht um Professor Elemental. beziehungsweise um die zwei bis sechs Personen, die seinen Trick kennen und ihn nun schamlos kopieren, um zu bewunderten Globetrotterinnen und Globetrottern zu werden. Doch ausnahmslos alle Beteiligten sind ausgesprochene Feiglinge und haben die Stadtgrenzen Londons noch nie von außen betrachtet. Denn - sind wir einmal ehrlich - die Welt ist wahnsinnig gefährlich und bis heute ist es noch niemandem gelungen ein Extraleben zu ergattern.
Und so rennen die Aufschneiderinnen und Aufschneider nun durch London, huschen vom Zeitungstand zum Flohmarkt und ins Café, und versuchen dabei Professor Elemental nicht zu begegnen, da dieser nicht besonders glücklich darüber ist, dass seine geniale Idee weitere Anhänger gefunden hat. Auf ihrem Weg sammeln, schnappen und kaufen die Spielerinnen und Spieler alles auf und ein, dass nicht bei drei auf den Bäumen ist und sich irgendwie in einer großen Expeditionsgeschichte als vermeintlicher Beweis eignet. Ein Tütchen Pflaumensoße aus dem örtlichen Chinarestaurant ist natürlich eine Probe der fremdartigen Speisen und Gewürze, wie sie in Dörfern an den Hängen des Himalayas gebräuchlich sind. Und das verschwommene Foto ist tatsächlich eine scharfe Aufnahme des geheimnisvollen Nebelsees, an dem diese Menschen leben. Und dann wäre da natürlich noch die lustige Geschichte als man bei der Durchquerung des Sees vom Kurs abkam und gezwungen war den Gepäckträger zu essen. Zum Glück hatten wir die Soße dabei.
Jede Geschichte braucht eine gewisse Mindestmenge an solchen „Beweisen“, um bei den verkalkten Zuhörenden im Abenteurerclub ordentlich Eindruck zu schinden. Keine Karte eignet sich für jede Geschichte und in manchen Reiseberichten taugt sie mehr als in anderen, um damit den bornierten Clubmitgliedern einen vom Pferd zu erzählen. Die Bewunderung wird in Punkten gemessen, da dies unter allen Abenteurerinnen und Abenteurern als einheitliches Maß für Anerkennung gilt. Mit jeder erzählten Geschichte sinkt allerdings der Wunsch nach weiteren Geschichten aus dieser Region und das Interesse an einem anderen Reiseziel steigt. Sobald jemand die nötige Menge an Bewunderung gesammelt hat, endet die Partie und jene Person gewinnt.
„Stuff and nonsense“ ist eine kleine humorvolle Perle meiner Sammlung und ich bedauere es noch immer sehr, dass ihre Lokalisierung „Krimskrams und Kokolores“ durch den Truant Verlag vor einigen Jahren trotz fertiger Übersetzung nicht zustande kam. Dadurch bleiben der charmante Humor, die witzigen Illustrationen und albernen Kartentexte den englischsprachigen Spielerinnen und Spielern vorbehalten. Wirklich zum Leben erwacht der Spaß allerdings erst, wenn die Mitspielenden es verstehen eine Geschichte aus ihren gesammelten Mitbringseln zu bilden und den anderen davon zu berichten. Eine Lüge kann in diesem Spiel um die ganze Welt laufen.
Selbstverständlich befinden wir uns zeitlich und thematisch im tiefsten Kolonialismusdickicht mit einer überheblichen Sicht auf die Welt abseits der eigenen Lebensumstände. Man könnte den unreflektierten Umgang mit dem Thema kritisieren und einige Darstellungen der indigenen Bevölkerung verurteilen. Doch andererseits ist eben diese Sicht Teil des eurozentristischen Lügenkonstrukts, welches das Spiel aufbaut und karikiert. Die dargestellten Personen sind fast ausschließlich weiß und männlich, denn so sahen die stereotypen Abenteurer in jenen Tagen eben aus. Sie trugen khakifarbene Knickerbocker und waren selbstverständlich vollendete Gentlemen mit gepflegtem Schnauzbart. Auch diese Darstellung entspringt Klischees jener Zeit. Spiele wie „Ladies & Gentlemen“ verfolgen ebenfalls diesen Ansatz und persiflieren vergangene Rollenbilder und gesellschaftliche Stereotype.
Abseits davon und nüchtern betrachtet ist „Stuff and nonsense“ ein Sammelspiel mit einer gehörigen Portion Zufall. Mechanisch ist es sehr simpel gestrickt. Es ist nur ein kleiner spielerischer Appetithappen und ist sich dessen auch bewusst. Nach einer Partie geht es meist zu komplexeren Spielen. Durch seine Kürze kommt es allerdings gerne zwischendurch auf den Tisch. Und wer versuchen sollte dieses Spiel mit einem Gewaltmarsch zu gewinnen, kann das wahrscheinlich schaffen, wird daran aber wenig Freude haben, denn wie es so schön heißt, ist der Weg das Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht „Stuff and nonsense“ nur eine kleine Schachtel, die in jedes Reisegepäck passt und etwas erzählerische Phantasie. Und vielleicht wird es eines Tages ja doch noch eine deutsche Ausgabe geben. Das wäre für mich eine große Entdeckung.
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Tags: 2-6 Personen, 60 Minuten, Humor, Set sammeln