TEST // SLEEPING GODS
“Nach Jahren der Stille erhielt ich ein kryptisches Telegramm von meinem Vater: “Erkrankt. Komm schnell.” Seinem Ruf geschwind folgend, stellte ich eine Crew aus erfahrenen Seebären zusammen und machte mich mit meinem geliebten Kutter namens Manticore auf den Weg nach New York. Jedoch gerieten wir drei Tage, nachdem wir den Hafen von Hong Kong verlassen hatten, unerwartet in den schwersten Sturm, den ich je erleben sollte. Eine gefühlte Unendlichkeit trieben wir im Meer umher. Jetzt, nachdem der Sturm endlich nachgelassen hat und der Himmel sich allmählich aufhellt, befinden wir uns an diesem fremden, eigenartigen Ort, der sich Wandering Sea nennt. Kurz nach unserer Ankunft begegneten wir einer grotesk wirkenden Frau, die im Delir über verstreute Totems und SLEEPING GODS schwadronierte. Kann sie uns vielleicht helfen, wieder auf Kurs zu kommen oder ist sie einfach nur verrückt? Und welche Geheimnisse birgt dieser Ozean noch? Ich hoffe, wir können diesem unwirtlichen Ort bald entfliehen.” - Capt. Sofi Odessa, April 27, 1929 –
Wir haben SLEEPING GODS selbst gekauft.
Dies hat keinen Einfluss auf unsere Bewertung!
Flucht aus dem mysteriösen Ozean
SLEEPING GODS ist ein voll-kooperatives Abenteuer-Kampagnen-Spiel für 1-4 SpielerInnen. Ziel ist es, der Wandering Sea, einem mysteriösen Ozean voller Gefahren, aber auch reich an wertvollen Schätzen und spannenden Geheimnissen, zu entfliehen. Dies gelingt, indem Totems gesammelt werden, die überall auf den zahlreichen Inseln verstreut sind und darauf warten, von den SpielerInnen gefunden zu werden. Mit diesen Totems können die titelgebenden schlafenden Götter geweckt werden, die angeblich über die Macht verfügen sollen, die orientierungslose Besatzung wieder in ihre Heimatwelt zurückzuführen.
Jede/r Spielende übernimmt die Kontrolle über mehrere Crew-Mitglieder des Schiffes Manticore. Der Spielplan besteht aus einem 18-seitigen Ringbuch, dem sogenannten Atlas. Auf diesem wird eine Schiffsminiatur bewegt und so können die unterschiedlichsten Orte erkundet werden. Außerdem gibt es noch einen Spielplan, auf dem die Manticore abgebildet ist. Hier werden verschiedene Schiffs-Aktionen ausgelöst und der Zustand des Kutters angezeigt.
Eine Runde läuft wie folgt ab:
1. Der/die aktive Spielende wählt eine von fünf verfügbaren Schiffsaktionen. So kann er/sie beispielsweise neue Fähigkeitenkarten ziehen, die geschröpfte Schiffsbesatzung heilen, Nahrung und Ressourcen suchen oder blockierende Kommando-Marker wieder von Spezialaktionen entfernen. Beim Ausführen fast aller dieser Aktionen erhält der/die Spielende zusätzlich die bereits erwähnten Kommando-Marker, mit denen Spezialaktionen von Besatzung und Gegenständen ausgelöst werden können.
2. Ist die Schiffsaktion abgewickelt, wird eine Ereigniskarte gezogen. Das bedeutet manchmal einen Bonus für die Spielenden, viel häufiger jedoch kommt es aber zu Gefahren, wie z.B. Stürmen, die mit Hilfe von Fähigkeitsproben überstanden werden müssen.
3. Zum Abschluss der Runde hat der/die Spielende noch zwei der folgenden Aktionen zur freien Verfügung:
- Reise: Mit dieser Wahlmöglichkeit kann die Manticore über die Karte bewegt werden. Hierzu muss eine Handwerksprobe absolviert werden, um zu bestimmen, wie viele Felder sich der Kutter bewegen darf.
- Erkunden: Der/die Spielende darf einen Ort erkunden, an dem sich die Manticore gerade befindet. Dazu wird die entsprechende Seite im Story-Buch aufgeschlagen und der Text vorgelesen. Hier warten die eigentlichen Abenteuer von SLEEPING GODS. Um an diesem Punkt nicht zu spoilern, wird nicht mehr verraten. Oft müssen Entscheidungen in guter alter Abenteuerspielbuch-Manier getroffen und mit den Konsequenzen gelebt werden. Häufig erhalten die Spielenden nützliche Belohnungen und interessante Hinweiskarten, aber auch harte Strafen und schwere Kämpfe lauern hinter jeder Ecke.
An manchen Orten werden gewisse Ereignisse nur ausgelöst, wenn bereits eine Hinweiskarte mit dem entsprechenden Schlüsselwort gefunden wurde. Somit kann es sich auch lohnen, einen Ort zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu durchkämmen. - Markt/Hafen: Befindet sich das Schiff auf einem Feld mit Markt oder Hafen, kann die entsprechende Aktion ausgelöst werden. Auf dem Markt kaufen die Spieler neue nützliche Gegenstände oder Rezepte und im Hafen kann das Schiff repariert, die Besatzung geheilt und Erfahrungspunkte ausgegeben werden, um die Crew zu verbessern.
Sind die zwei Wahlaktionen abgeschlossen, ist der nächste Spieler an der Reihe.
Wie bereits erwähnt, müssen im Zusammenhang mit Aktionen, Ereignissen und Erkundungen oftmals Proben absolviert werden. Davon gibt es fünf verschiedene Arten: Kraft-, Handwerks-, Gerissenheits-, Intelligenz- und Wahrnehmungsproben. Jede Probe hat einen gewissen Zahlenwert. Je höher dieser Zahlenwert, desto schwieriger die Probe. Die Spielenden bestimmen, welche Besatzungsmitglieder an der Probe teilnehmen sollen. Jeder teilnehmende Charakter bringt einen Bonus mit, wenn er über die entsprechende Fähigkeit verfügt. Nun wird eine Fähigkeitenkarte gezogen, auf der ein Wert von 1-6 abgedruckt ist. Dieser Wert wird mit dem Bonus der Besatzungsmitglieder zusammengezählt. Ist dieser Wert gleich oder größer als der Schwierigkeitswert der Probe, gilt sie als bestanden. Meistens werden dadurch negative Konsequenzen abgewendet oder Belohnungen erlangt.
Nehmen Charaktere zu oft an Proben teil, ermüden sie und können so lange nicht weiter agieren, bis wieder eine Möglichkeit zur Erholung besteht. Es muss daher genau überlegt werden, wann welche Besatzungsmitglieder eingesetzt werden.
Kampfsystem: Jeder Kampf ist ein kleines kurzweiliges Puzzle. Zuerst muss, ähnlich wie bei den Proben, eine Karte gezogen werden, um zu sehen, ob der Angriff erfolgreich ist. Wird der Feind getroffen, darf der Schaden auf ein kleines 3x3-Raster auf der Feindkarte aneinander angrenzend verteilt werden. Puzzelt der/die Spielende dabei geschickt, kann er/sie Gegnern Spezialfähigkeiten und Angriffskraft entziehen, mit Flächenschaden angrenzenden Gegnern schaden und/oder Synergie-Marker erwerben, die die Angriffe anderer Charakter stärken. Natürlich schlagen Gegner auch zurück und fügen den Besatzungsmitgliedern teilweise empfindlichen Schaden zu.
Fällt die Lebensenergie eines Charakters auf null, kann dieser nicht mehr an Proben oder Kämpfen teilnehmen, bis ein Weg zur Heilung gefunden wird. Passiert das mit allen Besatzungsmitgliedern oder wird die Manticore zu stark beschädigt, muss sich die Mannschaft mit Müh’ und Not in den nächsten Hafen schleppen. Zusätzlich werden Karten vom Ereignisstapel abgeworfen, was wertvolle Zeit auf der Suche nach den Totems kostet.
Denn sind die Ereigniskarten zum dritten Mal aufgebraucht, ist die aktuelle Kampagne zu Ende und eines der 13(!) Enden wird ausgelöst.
Was ist in der Box?
Der Blickfang von SLEEPING GODS ist für mich der schöne Atlas der Spielwelt, der beim Durchblättern gleich Lust macht, den Ozean und seine Inseln zu erkunden. Das Herzstück ist das dicke Story-Buch, mit dem die Erzählung vorangetrieben wird. Außerdem sind noch zahlreiche Karten von gutem Standard und etliche Holz- und Papp-Marker enthalten. Abgerundet wird das schöne Spielmaterial mit einem Inlay, in welchem alles verstaut werden kann.
An der Materialqualität gibt es insgesamt nichts zu meckern, nur leider enthält die Erstausgabe zahlreiche Druckfehler.
Lobend muss noch die Anleitung erwähnt werden. Es gibt eine Schnellstart-Anleitung, die einen gleich in das Szenario eintauchen lässt. Die Hauptanleitung ist verständlich geschrieben und schön bebildert. Außerdem gibt es eine sehr gute Übersicht mit allen Regeln in Kurzfassung.
Die Erweiterung TIDES OF RUIN enthält zusätzlich einen Atlas, der das Gebiet aus dem Grundspiel erweitert und das zugehörige Story-Buch. Dazu kommen neue Spielkarten aller Art, die für Abwechslung sorgen.
Die Kickstarter exklusive Erweiterung DUNGEON kommt, wie der Name schon andeutet, mit Verliesen und Tempeln, die von den Spielern erkundet werden können.
SLEEPING GODS überzeugt mich ganz klar durch den Abenteuerfaktor. Ich habe sehr viel Spaß dabei, die Schiffsminiatur über die Karte zu bewegen, einem Hinweis nach dem anderen hinterherzujagen und mich dabei in der wunderschön gestalteten Welt zu verlieren. Durch unzählige Geheimnisse, Belohnungen und Herausforderungen wird die Entdeckerlust geweckt. Außerdem lassen einen die vielen kleinen Geschichten beim Erkunden tief in die Welt eintauchen. Ein schönes immersives Erlebnis!
Meiner Meinung nach spielt sich SLEEPING GODS am besten zu zweit, da sich ab drei Spielenden die Downtime in die Höhe schraubt, obwohl der Rundenablauf eigentlich sehr einfach und schnell eingeprägt ist. Außerdem kommt es bei zwei Personen zu weniger den Spielfluss störenden Diskussionen. Für eingefleischte SolospielerInnen funktioniert das Spiel auch wunderbar und frei von Einschränkungen.
Die Kampagne ist sehr motivierend gestaltet. Als sie zu Ende war, hatte ich gleich Lust, noch einmal zu starten und möglichst viele andere Totems zu finden. Außerdem können im Laufe einer Kampagne Boni freigeschaltet werden, die in zukünftigen Durchläufen genutzt werden können.
Das Kampfsystem hat mir sehr gut gefallen. Es wirkt sehr thematisch. Wenn ich zum Beispiel die Iris des riesigen fliegenden Auge verletze, kann es mich nicht mehr hypnotisieren, oder treffe ich den toxischen Tausendfüßler am Mund, hat er es schwer, mich zu vergiften. Im Vergleich zum Abenteuerspiel TAINTED GRAIL fühlen sich die Kämpfe fluffiger an und stören den Spielablauf nicht.
Auch die Funktion der Schlüsselworte hat mir gut gefallen. Bestimmte Orte bleiben den Spielenden erst einmal verwehrt, bis eine bestimmte Voraussetzung erfüllt wurde. Das weckt Spannung und Ehrgeiz, den Ozean und seine Inseln weiter zu erkunden, um die Geheimnisse der Orte zu lüften.
Positiv ist noch hervorzuheben, dass die Schiffsbesatzung aus einem bunt gemischten Haufen von Frauen und Männern aus aller Welt besteht. Somit ist sehr viel Identifikationspotential vorhanden.
Die Spielmechaniken an sich verdienen keinen Innovationspreis. Eher sind sie Mittel zum Zweck, um das Abenteuer spannender und herausfordernder zu machen. Das gelingt größtenteils sehr gut, die Ressourcenverwaltung nervt jedoch manchmal beim Erkunden. Wenn ein heißer Tipp für das nächste Totem entdeckt wurde, aber vorher erst einmal das Schiff repariert und Ressourcen aufgefüllt werden müssen, bevor zum “Point of Interest” aufgebrochen werden kann, kann das schon lästig sein.
SLEEPING GODS hat auch seine Frustmomente. Dadurch, dass die Orte im Atlas frei erkundet werden können, trifft man häufig auf Gegner, die zum aktuellen Zeitpunkt übermächtig sind. Außerdem sorgen unfaire Ereigniskarten für Katerstimmung unter den Spielenden.
Leider sind in der Kickstarter-Erstausgabe zahlreiche Druckfehler enthalten, die mit offiziellen Errata zwar korrigiert wurden, ärgerlich bleibt dieser Umstand beim Spielen aber trotzdem.
Ich habe mit meiner Kickstarter-Version zusätzlich noch die TIDES OF RUIN Erweiterung erhalten. Diese ist für mich essenziell, da sie die Spielmechaniken nicht erweitert, aber die Weltkarte mit einem zusätzlichen 8-seitigen Atlas erst so richtig vollständig macht.
Zwar können mit dem Grundspiel viele, viele Stunden an Abenteuern durchlebt werden, mir persönlich würde aber ohne die Erweiterung und die dazugehörigen Kartenabschnitte etwas fehlen.
Dagegen ist die Dungeons-Erweiterung (Kickstarter exklusiv), bei der unterschiedliche Verliese erkundet werden können, nur “Nice-to-have”.
Momentan ist das Spiel nur auf Englisch verfügbar und es sind auf jeden Fall fortgeschrittene Englischkenntnis erforderlich, da das Spiel sehr textlastig ist. Aber nicht verzagen: Der SCHWERKRAFT Verlag hat bereits die deutsche Version für 2021 angekündigt.
SLEEPING GODS ist für alle geeignet, die Freude an freier Erkundung mit etwas Herausforderung haben. Solltet ihr davon schnell gelangweilt sein - lasst die Finger weg. Hattet ihr schon bei 7TH CONTINENT Spaß und wollt mehr? Dann greift zu!
Wem SLEEPING GODS gut gefällt, dem empfehle ich außerdem die etwas älteren FABLED LANDS Spielbücher, die auf eine ähnliche Art und Weise funktionieren.
Bilder vom Spiel
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Tags: 1-20 Stunden, Ressourcenmanagement, Entdecken, Kampagne, 1-4 Spieler, Fantasy, Abenteuer