TEST // EVERDELL
Als Corrin Immerschweif und ein paar Freunde vor dem Krieg mit den Schlangen flüchteten, konnten sie nicht ahnen, dass sie ein so schönes Plätzchen für den Neuanfang finden würden. Ein Tal mit einer großen saftigen grünen Wiese im Schatten der großen Äste und Zweige des Immerbaums. Perfekt für ihr Vorhaben, eine friedliche kleine Stadt zu errichten.
EVERDELL ist ein Aufbauspiel mit Worker-Placement- und Engine-Building-Mechanismen, in dem jeder Spieler versucht, die ansehnlichste Stadt in dem neu entdeckten Tal namens EVERDELL entstehen zu lassen.
Bei dem hier vorgestellten Spiel handelt es sich um ein Exemplar aus meiner persönlichen Sammlung.
Dies hat keinerlei Einfluss auf meine Rezension.
WORUM GEHT ES IN DEM SPIEL?
EVERDELL ist vom Autor James A. Wilson und spielt in einer Welt, welche von süßen kleinen anthropomorphen Tieren bewohnt wird. Illustriert wurde es von Andrew Bosley, die mögliche Spieleranzahl beträgt 1 bis 4 und es kann ab 14+ Jahren gespielt werden.
Ziel des Spiels ist es, eine möglichst punkteträchtige Stadt aus 15 Karten aufzubauen, welche die Bauwerke und Bewohner zeigen. Um diese Karten bezahlen zu können, werden vier Arten von Rohstoffen gesammelt: Harz, Kiesel, Holz und Beeren. Der große Spielplan zeigt mehrere Aktionsfelder, auf die Arbeiter der Spieler gestellt werden, welche für neue Karten, Rohstoffe oder einfach Siegpunkte sorgen. Dabei werden asynchron vier Jahreszeiten durchgespielt. Wer am Ende des Herbstes die meisten Siegpunkte durch die Karten und Ereignisse in der eigenen Stadt erhält, gewinnt das Spiel.
Zu Beginn sucht sich jeder eine Spielerfarbe aus und bekommt die dazugehören Holzmeeple in Form von Tieren zugeteilt. Es können Hasen, Schildkröten, Eichhörnchen und Igel gespielt werden. Zwei dieser Arbeitertierchen kommen in den persönlichen Vorrat und der Rest auf das höchste Plateau des Immerbaumaufstellers. Diese sind erst in späteren Jahreszeiten einsetzbar. Auf die untere Ebene der Baumkrone kommen vier zufällige Ereigniskarten, welche bestimmte Karten in der eigenen Stadt erfordern, um erfüllt zu werden und um Siegpunkte zu bringen. Unten, bei den Wurzeln des Baums, wird der Nachziehstapel mit den Wesen- und Bauwerkskarten gelagert, von denen vorher acht auf der Wiese, die große Auslage in der Mitte des Spielplans, verteilt werden. Je nach Spieleranzahl werden noch zufällig drei bis vier Waldkarten an die Ränder gelegt, welche mehr und meist bessere Aktionsfelder zeigen. Die Rohstofffelder werden mit den Rohstoffen bestückt, jeder bekommt noch eine Starthand ausgeteilt und dann kann es losgehen.
Wer am Zug ist, hat die Entscheidung zwischen drei Optionen: Einen Arbeiter einsetzen, eine Karte in die eigene Stadt spielen oder die Jahreszeit wechseln. Wer einen Arbeiter einsetzt, tut dies auf einem der vielen Aktionsfelder, durch welche die Spieler an Rohstoffe und neue Karten gelangen. Wer genügend Rohstoffe hat, um eine Karte ausspielen zu können, hat dabei immer die Auswahl zwischen den Karten der eigenen Hand und der öffentlichen Auslage auf der Wiese. Hierdurch sind schon einmal viele Möglichkeiten gegeben. Die Karten unterscheiden sich in Bauwerke und Wesen und diese noch in fünf Typen mit unterschiedlichen Farben. Die Typen sind wichtig für vier Ereignisplättchen, welche zusätzliche Siegpunkte bringen können, wenn eine bestimmte Anzahl Karten eines Typs in der eigenen Stadt vorhanden sind. Bauwerke haben unten rechts immer ein Wesen aufgedruckt, welches einmalig ohne Kosten gespielt werden kann, falls das passende Bauwerk schon in der eigenen Stadt liegt und Wesen haben oben links ein kleines Schild auf dem das passende Bauwerk steht. Hier muss nun gut kombiniert werden, welches Wesen gerade wirklich für die Strategie benötigt wird und welches vielleicht noch auf das dazugehörige Bauwerk warten muss, denn jede Karte hat eine Fähigkeit, welche teilweise sofort nach dem Ausspielen aktiviert wird, passiv andauert, ein neues Aktionsfeld bietet oder am Ende des Spiels zu bestimmten Bedingungen einfach mehr Siegpunkte liefert.
Wer keine vielversprechenden Aktionen mehr durchführen kann oder möchte, kann in die nächste Jahreszeit wechseln und bekommt alle eingesetzten Arbeiter und ein bis zwei zusätzliche aus der Baumkrone des Immerbaums zurück und löst, je nach Jahreszeit, einen einmaligen Effekt aus, wie z.B. alle grünen Bauwerke in der eigenen Stadt noch einmal zu aktivieren oder Karten nachzuziehen. Dabei müssen nicht alle Spieler die Jahreszeit wechseln. Es kann sein, dass die Eichhörnchen schon im Herbst sind, während die Schildkröten noch ein paar Runden im Sommer weiterspielen. Hierdurch kann es auch passieren, dass ein Spieler früher das Spiel beendet als andere. Am Ende des Herbstes sollte jeder eine Stadt stehen haben, in der die kleinen Tiere den Winter verbringen können.
ALLEIN GEGEN FUSSELWÜRZ
Im Solomodus wird versucht, Fusselwürz, eine zerzauste und vernarbte Ratte, aus EVERDELL zu vertreiben. Fusselwürz kann in drei Schwierigkeitsgraden gespielt werden, aber im Grunde ist es lediglich ein Mechanismus, der Karten und Aktionsfelder blockiert und einen Würfel wirft, um zufällige Karten von der Wiese zu bekommen.
SPIELMATERIAL
Das Spiel steckt in einer 30cm x 30cm großen Schachtel und besteht aus einem Spielplan, einem großen Immerbaum-Pappaufsteller, 4 Ereignisplättchen, 1 achtseitigen Würfel, 24 Tiermeeplen aus Holz, 50 Pappmarkern, 128 Wesen- und Bauwerkskarten, 27 kleineren Wald- und Ereigniskarten und 105 Rohstoffteilen aus diversen Materialien. Das Holz ist aus Holz, das Harz und die Kiesel aus Kunststoff und die Beeren aus Gummi. Die Karten haben alle Leinenqualität, sind voll bedruckt und wunderschön illustriert. Der große Spielplan mit dem Immerbaumaufsteller macht wirklich etwas her und liefert ein tolles Spielgefühl. Das gesamte Spielmaterial ist von guter Qualität und gibt keinen Grund zur Beanstandung. Alles passt gut in das Kunststoffinlay. Die Anleitung ist kurz und übersichtlich, außerdem beginnt sie mit einem Gedicht und endet mit der Geschichte von Corrin Immerschweif, dem Helden, der EVERDELL entdeckte, was dem Spiel mehr Tiefe verleiht.
Wer bei diesem Spiel nach Mängeln sucht, muss schon genau hinschauen. Im Regelheft gibt es Flavourtext, der einfach nicht übersetzt wurde, auf einer Karte steht „une“ wo „eine“ stehen sollte, die Ikonographie ist stellenweise etwas klein geraten und das Spiel kann für den einen etwas eher vorbei sein als für den anderen. Da hört die negative Kritik aber auch schon auf, denn der Rest des Spiels ist einfach fantastisch. EVERDELL hat das Rad nicht neu erfunden: Worker-Placement-Aufbauspiele gibt es wie Sand am Meer, aber das Rad sah noch nie so gut aus. Das Prinzip, ein Bauwerk zu errichten und dafür die passende Wesenkarte ohne Kosten spielen zu können, funktioniert hervorragend. Wo verdeckte Karten gezogen werden, ist immer Glück im Spiel, aber EVRDELL schafft es, dieses auszugleichen; dadurch dass jeder Handkarten hat und ebenfalls auf die acht Karten auf der Wiese zugreifen kann, werden einem immer genug Optionen und Ausweichmöglichkeiten geboten, sodass nie das Gefühl aufkommt, dass die eigene Strategie starr in eine Richtung gelenkt wird.
Die Ressourcen sind oft knapp, nicht selten wird eine Karte mit allem bezahlt, was der persönliche Vorrat hergibt. Das erfordert genaue Planung, aber manchmal auch eine Prise Glück. Das Spiel fühlt sich an, wie eine Mixtur aus allem Guten, was Aufbauspiele bisher hervorgebracht haben: einen Arbeitereinsetzmechanismus, der für viele Optionen, aber auch gleichzeitig für Spielerinteraktion sorgt. Ressourcenmanagement über viele Züge hinaus, ohne dabei unüberschaubar zu werden und mit genügend Variabilität bei der Kartenauslauge und möglichen Bauwerken, sodass alle Pläne auch mal über den Haufen geworfen werden können, ohne dass man sich danach abgeschlagen fühlt. Es gibt zudem viele gut verzahnte Fähigkeiten auf den Karten, welche viele Kombinationsmöglichkeiten bieten und dem Spiel eine hohe taktische Tiefe verleihen.
Der Jahreszeitenwechselmechanismus macht das Arbeiterzurückholen zu einer der strategischsten Entscheidungen in dem Spiel, denn hierbei kommen nicht nur die Arbeiter zurück, sondern es werden auch Sondereffekte ausgelöst, die mal schnell angestrebt und mal hinausgezögert werden. Der Frühling und der Herbst aktivieren noch einmal alle grünen Bauwerke, was oft noch warten kann, aber der Sommer bringt Karten von der Wiese auf die Hand und hierbei kann es manchmal hilfreich sein gierig die Jahreszeit zu wechseln, um sich eine starke Karte, wie etwa die Königin oder das Gericht, zu sichern.
Das Spiel fängt angenehm einfach an und dann, in der letzten Jahreszeit, hat jeder so viele Dinge zu verwalten, dass alle konzentriert am Spieltisch sitzen, versuchen, sich noch die lukrativsten Aktionsfelder und Karten streitig zu machen, und Spaß haben. Zudem funktioniert EVERDELL in jeder möglichen Spieleranzahl reibungslos und hält die versprochene Spielzeit ein. Der Solomodus kommt nicht aus der Automa Factory und simuliert keinen Spieler, aber dennoch gibt es einen und auch der macht Spaß und fühlt sich nicht beschnitten an. Wenn man Spiele mit Technikprodukten vergleicht, dann wäre dieses High-Tech, denn darin steckt alles, was moderne Aufbauspiele zu bieten haben und das auch noch schick designt. EVERDELL ist keins solcher Spiele, die sich nach vier, oder fünf Partien abgespielt haben, ganz im Gegenteil. Mit jeder Partie wächst das Wissen über die vielen Kombinationsmöglichkeiten der Kartenfähigkeiten und das macht direkt Lust, es immer wieder zu probieren, um es jedes Mal besser hinzubekommen als in der letzten Runde.
Spiele, die mechanisch einfach einwandfrei sind und auch Langzeitspielspaß garantieren, sind heute auch nicht mehr so selten. Was EVRDELL aber von der Masse abhebt, sind wohl die wundervollen Illustrationen und das Spielmaterial. Es macht einfach Spaß, in dieser Welt zu spielen und sein Städtchen für diese ganzen kleinen Tiere zu errichten. Dazu kommen noch solche lustigen Kleinigkeiten, wie dass die Beeren aus Gummi sind, dass die Anleitung voll von Flavourtexten ist, wie etwa eine Rechnung aus „Max Mümmelmanns Mischwarenladen“, und zu guter Letzt natürlich der Immerbaum, welcher auch als Karte im Spiel vorkommt. Wirklich ein Spiel zum Verlieben!
EVERDELL kann ich jedem, vom Gelegenheitsspieler, der eine kleine Herausforderung im Komplexitätsgrad von Flügelschlag sucht, bis zum Experten, nur ans Herz legen. Ein unglaubliches Spiel, welches in Zukunft bei Pegasus auf deutsch erscheinen wird.
Bilder vom Spiel
Tags: Engine Builder, Aufbauspiel, Worker Placement, Strategie