TEST // FLOTILLA
Die Welt ist untergegangen. Buchstäblich. Statt der Swinging Sixties sind es die Swimming Sixties geworden und schwimmend werden auch die zukünftigen Jahrzehnte verbracht werden müssen. Jedwede Reste unserer einstigen Zivilisation liegen nun am Meeresgrund und die Überlebenden der Menschheit klammern sich auf Pontonstädten aneinander. Einige zieht es jedoch hinaus auf den endlosen Ozean, um in den nassen Tiefen nach verwertbaren Rohstoffen und Schätzen von einst zu suchen. Haben sie genug gefunden, setzen sie sich meist zur Ruhe und beginnen ihre eigenen Pontonstädte zu errichten. Ob deine FLOTILLA die Gezeiten überdauert, wird sich noch erweisen müssen.
STROHMANN GAMES hat uns FLOTILLA freundlicherweise für eine Rezension zur Verfügung gestellt.
Dies hat keinen Einfluss auf unsere Bewertung!
Das Spiel
FLOTILLA ist ein Spiel zwischen zwei Seiten, den Sinksidern und den Skysidern. Erstere fahren hinaus, erkunden die See, sammeln Rohstoffe, verkaufen diese auf dem Markt und kaufen mit ihrem erwirtschafteten Geld weitere Schiffe. Hat ein Sinksider genug vom ruhelosen Leben und den Gefahren des Meeres, kann er zum Skysider werden. Mit diesem radikalen Schritt verkauft er alle Schiffe und wirft allen bisherigen Fortschritt über Bord und wird sesshaft. Von nun an kauft er Ressourcen vom Markt und baut seine FLOTILLA Stück für Stück aus.
Der Zeitpunkt für diesen Schritt will gut gewählt sein, denn nur dann lassen sich die eigenen Schiffe mit Gewinn oder zumindest ohne Verlust abstoßen. Doch der Wechsel zur Skyside ist kein Muss und er ist unumkehrbar.
Diese beiden Seiten des Spiels konkurrieren miteinander und profitieren voneinander. Diese Verzahnung bildet die Reibefläche des Spiels, an der der Kampf um den Sieg entbrennt. Vier Gilden stellen den Kern der postapokalyptischen Gesellschaft dar und in diesen versuchen die Spieler den meisten Einfluss zu sammeln.
FLOTILLA ist schnell erklärt, die Verzahnung macht es jedoch sehr kompliziert.
Jeder Spieler erhält ein Startplättchen und legt es an die große FLOTILLA in der Mitte der Spielfläche an. Alle beginnen mit einem Schiff und einem identischen Kartensatz aus Aktionskarten. Reihum muss jeder Spieler, wenn er am Zug ist, eine Aktionskarten ausspielen und die entsprechende Aktion ausführen. Für jeden Spieler kommen 100 Siegpunkte in den Vorrat und sobald dieser Vorrat aufgebraucht ist, wird die letzte Runde noch beendet und im Anschluss wird die Endwertung durchgeführt. Derjenige mit den meisten Punkten gewinnt.
Die Aktionskarten ermöglichen das Ziehen und Anlegen neuer Ozeanplättchen aus dem großen Beutel. Es gibt drei Wassertiefen, seichtes darf nicht an tiefes Wasser angelegt werden. Jedes Plättchen zeigt ein farbiges Fass. Auf diesem Plättchen können nur Ressourcen dieser Farbe gesammelt werden. Sollte sich ein Radioaktivitätssymbol auf den gezogenen Plättchen befinden, steigt der eigene Strahlpegel um die entsprechende Anzahl. Steigt er über das Maximum, wird er auf die Nullposition zurückgesetzt und die Verstrahlungsstufe wird eine Position weiter nach rechts geschoben. Sehr schnell führt das zu Minuspunkten in der Endwertung. Erkunden ist also gefährlich. Auf manchen Plättchen ist ein Artefaktkreisdrittel abgebildet. Wird ein solcher Kreis vervollständigt, darf ein Artefakt aus dem Beutel gezogen werden. Der Spieler erhält den Bonus und legt das Artefakt dann zur entsprechenden Gilde auf der großen FLOTILLA
Andere Karten erlauben das Handeln am Markt oder das Tauchen, wodurch Ressourcen entsprechend den Positionen der eigenen Schiffe gesammelt werden können. Dazu muss gewürfelt werden. Auch hier droht Verstrahlung und Ressourcen können sich erschöpfen. Eine weitere Karte erhöht den Einfluss in den Gilden und führt so schnell zu neuen und sehr mächtigen Aktionskarten. Ihre Effekte sind sehr viel besser als die der Startkarten und lohnen den Aufwand. Alle Karten zeigen eine kleine Kompassrose. Die Zahl entspricht der Anzahl an Plättchen, um die die eigenen Schiffe bewegt werden können. Diese Bewegung kann frei unter allen Schiffen aufgeteilt werden, sobald ein Schiff den Hafen erreicht oder durchfährt, darf es entladen werden. Jedes Schiff fasst nur vier Ressourcen und nur Ressourcen im eigenen Lager können auf dem Markt verkauft werden.
Wird der Kapitän gespielt, dürfen alle Aktionskarten des eigenen Ablagestapels wieder aufgenommen werden. Je nach ihrer Anzahl erhält der Spieler Geld und darf entweder als Sinksider weiterspielen oder auf die Skyside wechseln.
Entscheidet sich der Spieler für den Wechsel, verkauft er alle seine Schiffe, wendet alle Aktionskarten auf die Skyside und nimmt alle bisher ausgelegten Ozeanplättchen in seinen persönlichen Bauvorrat. Auf ihren Rückseiten zeigen alle Ozeanplättchen Teile einer FLOTILLA in den Farben einer der vier Gilden. Um eines oder mehrere dieser Plättchen bauen zu können, muss die entsprechende Aktionskarte gespielt und die angegebenen Kosten dafür bezahlt werden. Das Bauen bringt Siegpunkte. Je größer ein einfarbiger Stadtteil wird, desto mehr Punkte bringt er, denn die Anzahl seiner Plättchen wird mit dem Einfluss der entsprechenden Gilde multipliziert. Dieser Einfluss kann zwar von den Skysidern erhöht werden, den Sinksidern ist dies aber sehr viel leichter möglich und stellt einen der vielen Berührungspunkte zwischen den beiden Seiten dar.
Für beide Seiten werden bei Spielbeginn Auftragsplättchen entsprechend der Spieleranzahl gewählt. Jeder Spieler sucht sich eines für die Sinksider- und eines für die Skysider aus, der Rest verbleibt in der Schachtel. Jedes dieser Ziele existiert jedoch dreimal und wird nach Siegpunkten absteigend sortiert, sodass der Erste, der ein Ziel erfüllt, die meisten Punkte erhält. Das erfüllte Plättchen wird entfernt, das darunter kann nun erfüllt werden, bringt aber weniger Punkte. Selbstverständlich kann ein Sinksider kein Ziel der Skysider erfüllen und umgekehrt.
In der Seekist
Die Spielschachtel ist bis zum Rand prall gefüllt und lässt sich ohne genaue Planung kaum schließen: große schwere Würfel mit Prägung in vier Farben, entsprechend der Wassertiefe und für die Skysider, zwei Stoffbeutel für diverse Ozeanplättchen und Artefakte, dazu doppelseitige Spielertableaus und hölzerne Ressourcen in vier Farben. Alles ist gut verarbeitet und lässt sich kaum zurück in die Schachtel zwingen. Die Pappe hält zusammen und die Karten sind ebenfalls hochwertig. Die Holzschiffe der Spieler sehen alle unterschiedlich aus.
Die beiliegende deutsche Anleitung gibt sich große Mühe, die vielen kleinen Regeln zu strukturieren und alles verständlich zu erklären. Beispiele und viele Bilder lockern die Anleitung auf. Für kleine Fragen erhält jeder Spieler zwei kleine Übersichtskarten als Spielhilfe. Alles findet sich darauf jedoch bei Weitem nicht. Die Regeln sind dafür einfach zu zahlreich.
An diesem Punkt angelangt, fühlt sich FLOTILLA wie eine anstrengende Reise an, eine lohnende zwar, aber dennoch auch eine kräftezehrende Unternehmung in einer postapokalyptischen Welt, die vor 70 Jahren spielt. Die Spielgeschichte schien mir düster mit den radioaktiven Seegebieten und der unterschwelligen Hoffnungslosigkeit und all diesen Menschen, denen ein Leben als Müllsammler und Resteverwerter auferlegt wird. Doch das stört niemanden im Spiel und die tödliche Radioaktivität ist eben das notwendige Übel eines umtriebigen Entdeckerlebens. Alle Bewohner dieser Welt graben im Müll und lassen lethargisch ihr Leben für die Ressourcenbeschaffung. Diese düstere Seite spielt bei FLOTILLA jedoch keine Rolle. Die Karten, die eine sehr gute Verteilung von Männern und Frauen aufweisen (es sind gleich viele), sind farbenfroh und das vorherrschende Zwei-Kasten-System aus Sink- und Skysidern und die allumfassende Herrschaft aus vier Gilden scheinen dem Spieler förmlich zu zuflüstern: „Hey, mach dir keine Sorgen. Das Leben ist schön und voller Möglichkeiten. Und wenn dir die verstrahlten Haare ausfallen, dann fahr‘ halt woanders hin.“
Also habe ich das gemacht. Der Schlüssel zum Glück liegt in heiterer Resignation.
Konzentrieren wir uns also auf die schönen Dinge. FLOTILLA ist angenehm bunt. Die Karten sind schön gestaltet und jede Person wurde für die Skyside anders gestaltet. Da wird der Taucher zum Sammler und der Student bleibt Student. Das ist absolut passend und macht Hoffnung, denn selbst in der Apokalypse scheint es die Prokrastination, also das Aufschieben von Tätigkeiten, noch zu geben. Diese Aktionskarten steuern das gesamte Spiel. Durch Einfluss in den Gilden erhalten die Spieler neue Karten und erweitern so nicht nur ihre Möglichkeiten mit sehr mächtigen neuen Aktionen, sondern schieben auch das unausweichliche Spielen des Kapitäns hinaus. Das Deckbuilding funktioniert ausgezeichnet und macht Spaß. Durch die verlockenden Fähigkeiten der Karten wird das Sammeln von Einfluss zum spannenden Wettrennen, das mit Siegpunkten belohnt wird.
Die Verzahnung der beiden Seiten mit ihren verschiedenen Aktionen ist gut und greift an vielen Stellen ineinander. Alles im Spiel ist auf den Seitenwechsel zugeschnitten. Zwar ist es nicht nötig, zu wechseln, dennoch fragen sich alle Spieler insgeheim, wann die anderen wechseln oder der ideale Zeitpunkt erreicht ist, um selbst die Schwimmflossen an den Nagel zu hängen. Ressourcen werden mit steigendem Angebot immer billiger und bald sehnen Sinksider den Moment herbei, da ein reicher Skysider daher spaziert kommt und sich besinnungslos kauft. Jede Tauchfahrt ist riskant und das nervige Radar kann nur von einem Skysider auf lukrativere Bereiche versetzt werden.
Zielplättchen zu erfüllen, ist eine teure Angelegenheit. Fehlen passende Bauplätze, kann jedoch mit ein bisschen mehr Geld ein schwimmender Turm errichtet werden. Ob sich der Aufwand lohnt, muss jeder Spieler selbst entscheiden. Doch eben genau diese Entscheidungen sind schwer zu treffen. Zum einen gibt es reichlich Alternativen, zum anderen sind die Verzahnungen gerade am Anfang so zahlreich, dass selbst mit den kleinen Spielhilfen der Überblick verloren geht. Die Vielzahl kleiner Regeln und die Wechselwirkungen machen eine fundierte Entscheidung schwer.
FLOTILLA ist ein Spiel für drei bis fünf Personen. Bezüglich der verzahnten Mechanik ergibt das Sinn, doch selbst zu dritt dauert das Spiel sehr lange. Eine Partie mit fünf unerfahrenen Spielern kann schnell den ganzen Abend in Anspruch nehmen. Durch die Verzahnung ist es nötig, jede Aktionskarte grundlegend zu erklären. Und da sich die Aktionen von denen der Rückseiten unterscheiden, ist es notwendig, beide Seiten zu erklären. Die Wechselwirkungen müssen immer wieder in der Anleitung nachgeschlagen werden. Hinzu kommt, dass FLOTILLA sich sehr einsam anfühlt. Interaktion gibt es nur über die Verzahnung, direktes Handeln von Waren oder gemeinsame Aktionen gibt es nicht. Ganz typisch für ein Eurogame beschränken sich die genügsamen Müllwühler also auf passive Aggressionen.
FLOTILLA ist ein Expertenspiel. Sein Grundgerüst ist das zweier Kennerspiele. Und so fühlt es sich auch auf beiden Seiten dieser Gesellschaft an. Es sind zwei einzelne Kennerspiele, die durch ein Geflecht aus kleinen Regeln aneinandergebunden sind, als habe man zwei Holzboote aneinandergebunden. Das Ergebnis schwimmt, aber es wird dadurch nicht zu einer Yacht. FLOTILLA hat mir Freude gemacht und war wirklich fordernd und spannend, aber eben auch sehr anstrengend.
Bilder vom Spiel
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Tags: Legespiel, Aktionskarten, Ressoucenmanagement, Postapokalypse, Deckbau, 90-150 Minuten, 3-5 Spieler