Prototyp | Axon Protocol
Jede Software kommt mit einem Lizenzvertrag daher, den kaum jemand liest. Die meisten klicken schnell auf die Bestätigung, damit es endlich weitergehen kann. Doch selbst die hartnäckigsten Verfechter von Privatsphäre lesen nicht bis zum letzten Passus des letzten Untermenüs, glauben sie mir. Ich muss es schließlich wissen, denn damit arbeite ich täglich. Wenn sie noch nie etwas vom „Axon Protocol“ gehört haben, bin ich also nicht verwundert. Mit ihrer letzten Bestätigung haben sie meinem Arbeitgeber die Zustimmung erteilt per Uplink auf ihr Unterbewusstsein zugreifen zu dürfen. Aber sorgen sie sich nicht. Das dient nur der ‚Nutzeroptimierung’. Optimal für unsere Bilanz wäre es übrigens, wenn sie jetzt ein Verbrechen begehen.
Baroque Games haben uns „Axon Protocol“ freundlicherweise für eine Rezension zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf unsere Bewertung!
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„Axon Protocol“ ist ein Spiel für 1 bis 6 Personen, die in die Rolle von konzerneigenen Hackern schlüpfen. Unbelastet von moralischen Fesseln und ethischen Fragen, beeinflussen die Mitspielenden die verschiedenen Bewohner von Nexus City zum Vorteil ihres Megakonzern. Jede Firma generiert ihre Siegpunkte durch die wachsende Verbreitung ihrer Waren. Diese Waren sind Drogen, Konsumgüter, Cyberware, Daten, Skandale und Gewalt. Idealerweise verdienen immer zwei Konzerne an jeder dieser Waren. Mit jedem neuen Warenwürfel in der Stadt steigt auch deren Wert und treibt den Stressmarker weiter voran. Sobald der Stressmarker den kritischen Punkt erreicht oder der Vorrat einer Ressource erschöpft ist, kollabiert die Stadt unter ihrer eigenen Last. Das sollte nach 45 bis 120 Minuten geschehen. Dann endet die Partie und es gewinnt der Konzern, der den größten Profit aus der Stadt gezogen hat. Für Bedauern ist keine Zeit, denn die nächste Stadt wartet schon.
Jede Runde besteht aus einer Aktionsphase und dem Rundenende. Während der Aktionsphase führen die Spielerinnen und Spieler ihre Züge aus. Meist wird dabei ein Charakter in der Stadt aktiviert von denen es eine große Menge gibt. Jede dieser Personen hat ganz eigene Handlungsroutinen und Fähigkeiten. Das Ausführen ihrer Routine ist gratis. Darüber hinaus können Charaktere aber auch gehackt werden. Hierzu wird eine Softwarekarte von der Hand abgeworfen und im Anschluss eine ihrer Fähigkeiten benutzt. Nexus Cities Einwohner können Verbrechen begehen, Morden, Kriminelle verhaften oder exekutieren, Drogen kaufen oder sich ganz einfach über die diversen Straßen der Stadt bewegen. Ein Konzern kann aus allen nicht bereits aktivierten Charakteren in der Stadt wählen und nach der Aktivierung noch die jeweilige Ortsaktion nutzen.
Für die Kosten von einer Handkarte ist es auch möglich die Spielrichtung umzukehren, Startspielerin oder Startspieler zu werden, die Konzernfähigkeit zu verwenden oder via Phishing neue Charaktere in die Stadt zu bringen. Sobald alle aktiviert wurden, endet eine Runde. Nun werden Charaktere von Aktivierungsmarkern befreit und Handkarten aufgefüllt. Schließlich betritt noch ein neuer Charakter die Stadt bevor es mit der nächsten Aktionsphase weitergeht. Und so beginnt der Ausbeutungszyklus von neuem.
Für mich: Nur frisch gepresst!
Wichtig ist natürlich, dass es sich bei dem getesteten Exemplar um einen Prototypen handelt. Regeln, Material und Illustrationen sind nicht final und können sich bis zum eigentlichen Erscheinen des Spiels noch ändern. Auch uns sind einige größere und kleiner Details aufgefallen, die durchaus noch geändert werden dürften. Davon wird nicht alles, aber dennoch alles wesentliche in unserem Fazit erwähnt werden. Too long, didn‘t read…
Bereits zur Spiel 2022 war ich persönlich sehr gespannt auf „Axon Protocol“. Mehr als einmal habe ich am Stand von Baroque Games sehnsüchtige Blicke auf des Spiel geworfen. Bedauerlicherweise fehlte mir auf der Messe die Zeit für eine Testrunde. Umso glücklicher bin ich, dass ich nun nach der Messe die Chance bekommen habe Nexus City zu erkunden. Dabei war die Einstiegshürde schon beachtlich. Die eigentlichen Mechaniken sind auf Kennerspielniveau, durch die einzigartigen Charakterroutinen und die ebenso vielseitigen Ortsaktionen, gepaart mit ständig wechselnden Situationen auf dem Brett, erreicht „Axon Protocol“ durchaus die Tiefe eines Expertenspiels.
Wenn der eigene Zug beginnt, hat sich meist so viel geändert, dass ein völlig neuer Plan nötig ist. Das drückt auf die Spielzeit und die Wartezeit für alle anderen wird etwas länger, ein kluger Schachzug fühlt sich dafür aber auch belohnend an. Entscheidungen sind immer schwierig, da jeder Charakter nur einmal pro Runde aktiviert werden kann. Die Routinen der Stadtbewohner zu nutzen, ist zwar günstig, doch nicht immer zielführend. Hacking und andere Aktionen sind effektiver, kosten allerdings Handkarten. Ebendiese werden erst am Rundenende aufgefüllt. Genau in diesem Spannungsverhältnis liegt „Axon Protocol“. Es erfordert taktische Finesse und gnadenlose kapitalistische Strategie. Am Ende des Tages gewinnt nämlich nur der Megakonzern, der die Stadt am gewinnbringendsten ausgepresst hat.
Besonders in einer dystopischen Wirtschaftssimulation darf die Buchhaltung nicht fehlen. Die Ressourcenleisten geben stets klar darüber Auskunft, welche Waren gerade hoch im Kurs stehen. Schnell kann der Stressmarker der Stadt dabei übersehen werden. Hier gilt es besonders aufmerksam zu sein, denn im Nachhinein ist der korrekte Stresslevel nicht immer zu ermitteln. Im Optimalfall profitieren immer zwei Konzerne in Nexus City von einer Ressource. Mit jedem wirtschaftlichen Erfolg, wird also auch ein Konkurrent gestärkt, den es an anderer Stelle zu schwächen gilt. Jede Partie fühlte sich knapp an und am Ende lagen immer nur ein bis zwei Punkte zwischen Sieg und Niederlage. Die Mechanik macht wirklich Spaß und sorgt für eine angenehme Spannung am Spieltisch. Deshalb ist es etwas Schade, dass im Spiel mit zwei und im Teammodus mit vier Personen die beiden gegnerischen Parteien keine Ressourcen miteinander teilen. Allein die Möglichkeit in Teams spielen zu können ist jedoch erfreulich.
Nexus City stellt sich für Spielerinnen und Spieler in Verkörperung eines Megakonzerns abstrakt dar. Die Bewohner der Stadt sind Ameisen im profitgetriebenen Fleischwolf einer seelenlosen gierigen Wirtschaft. Moralische Fragen stellen sich gar nicht erst. So ist die Kernmechanik des Gehirnhackings kein Problem. Es ist nichts Persönliches, es geht nur ums Geschäft. Wie so häufig ist dabei das Kleingedruckte von entscheidender Bedeutung. Und Kleingedrucktes gibt es leider zuhauf. Denn schließlich gibt es bis zu 44 individuelle Charaktere im Spiel. Deren einzigartige Routinen müssen laufend nachgelesen werden. Das komplexe Geflecht aus „Wenn“, „Dann“ und „Sonst“ kann sich niemand merken. Eine kleine Übersicht wie in „Kemet“ könnte besonders die Spielerinnen und Spieler entlasten, die noch keine kybernetisch verbesserten Augen besitzen. Im bisherigen Zustand ist „Axon Protocol“ für Farbenblinde nicht geeignet. Aber in der Kickstarterkampagne kann sich noch einiges ändern.
Die vielseitigen Routinen machen den besonderen Spielreiz von „Axon Protocol“ aus. Jeder Charakter kann auf zahlreiche Weisen eingesetzt werden. Ob Morde, Verhaftungen, Drogenkauf oder das Veröffentlichen sensibler Daten, alles kann passieren und nimmt sofort Einfluss auf die Ressourcenleiste. Dank der großen Varianz verläuft jede Partie anders. Das innovative System eines geteilten Arbeiter-Pools fordert ordentlich Gehirnkapazität. Wer sich für das Thema Cyberpunk begeistert, sollte unbedingt einen Blick auf Kickstarter wagen und sich „Axon Protocol“ einmal genauer anschauen. Die Kampagne dazu soll noch im November starten.
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Tags: Cyberpunk, 1-6 Personen, Kartenmanagement, Kickstarter