
Ein Sturm zieht auf: Wie gefährlich sind die US-Zölle für die Brettspielbranche?
Sollte die Brettspielwelt mit großer Sorge auf die jüngsten politischen Entwicklungen in den USA blicken? Die Ankündigung drastischer neuer Zölle, insbesondere auf Waren aus China, versetzt Verlage, Designer und Spieler gleichermaßen in Aufruhr. Als erster Gedanke könnte vielleicht gelten, dass es und in Deutschland nicht betreffen wird.
Doch was zunächst wie eine rein amerikanische Angelegenheit klingt, hat das Potenzial, die globale Brettspiel-Landschaft nachhaltig zu verändern – und das nicht zum Besseren.
Die Brettspiel-Branche ist in hohem Maße von der kostengünstigen Produktion in China abhängig. Die neuen Zölle könnten eine Kettenreaktion auslösen, die am Ende bei uns allen auf dem Spieltisch ankommt.
Amerika ist ein riesiger Markt für Brettspiele
Weltweit wurden laut Statista.com im Jahr 2023 12,8 Milliarden US$ mit Brettspielen/Puzzle eingenommen. Allein in Amerika wurden im Jahr 2023 3,5 Milliarden US$ Umsatz damit gemacht. Die Zahlen stammen ebenfalls von Statista. Amerika als Einzelmarkt macht somit mehr als 27% des Weltweiten Marktes aus, ist der bedeutendste Markt der Welt. Für manche Verlage sieht die Aussicht noch düsterer aus, weil „65 Prozent unseres Umsatzes in den USA erzielt werden, was uns also stark belasten wird.“ betont Jamey Stegmaier und zeigt damit, dass vor allem größere amerikanische Verlag in einem deutlichen höheren Maße betroffen sein werden.
Hintergrund: Zölle als Kostentreiber
Die neuen US-Zölle , die Anfang April in Kraft getreten sind treffen die Branche ins Mark. Besonders die Erhöhung auf bis zu 54 % für Importe aus China (zusätzlich zu bereits bestehenden Zöllen) ist ein Schock. Aber auch Waren aus der EU (20 % neue Zölle), Japan (24 %), Südkorea (25 %) und Vietnam (46 %) sind betroffen, wie das Branchenmagazin ICv2 berichtet. Da ein Großteil der Brettspielproduktion – von Miniaturen über Karten bis hin zu Spielbrettern – in China stattfindet, schlagen diese Zölle direkt auf die Herstellungskosten durch.
Unmittelbare Auswirkungen auf die Branche
Wird diese Entwicklung hochgerechnet – etwa indem Spiele, die bislang 40 Dollar kosten, künftig 60 Dollar kosten und solche für 60 Dollar auf 90 Dollar steigen –, wird deutlich, wie rasch sich die Preissteigerungen sowohl bei Verlagen als auch im Einzelhandel bemerkbar machen. Auch der Branchenverband Game Manufacturers Association (GAMA) in den USA ist sich dieser Dynamik bewusst. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es: „Die kürzlich von der Regierung eingeführte Erhebung eines 54-prozentigen Einfuhrzolls auf Produkte aus China ist eine äußerst schlechte Nachricht für die Tabletop-Branche und die US-Wirtschaft insgesamt. Für eine Industrie, die stark auf die Produktion im Ausland und den anschließenden Import angewiesen ist, könnte diese Maßnahme gravierende Auswirkungen haben.“
Die Folgen: Teurere Spiele, geringere Margen, unsichere Zukunft
Die wahrscheinlichste Konsequenz sind höhere Verkaufspreise für uns Endkunden. Meredith Placko, CEO von Steve Jackson Games führt ihre Rechnung weiter aus: „Rechnet man Fracht, Lagerhaltung, Auftragsabwicklung und Vertriebsmargen hinzu, wird aus einem einst 25-Dollar-Spiel schnell ein 40-Dollar-Produkt. Das ist kein Luxusaufpreis, sondern Überlebensmathematik.“ Auch Hasbro-CEO Chris Cocks bestätigte gegenüber Yahoo Finance: „Wenn es um Zölle von über 20 Prozent geht, sind das Kosten, die wir nicht vollständig tragen können. Diese müssen weitergegeben werden.“
Können Verlage die Kosten nicht vollständig weitergeben, sinken ihre Gewinnmargen. Das bedeutet weniger Geld für Innovation, die Entwicklung neuer Spiele, Marketing oder faire Autorenhonorare. Besonders hart trifft es Kleinverlage und Crowdfunding-Projekte, die oft mit spitzen Bleistiften kalkulieren. Unerwartete Zollkosten können ein Projekt unrentabel machen oder Nachforderungen an die Unterstützenden erzwingen. Dave Beck von Paverson Games beschreibt die Dramatik: „Dies könnte mein gesamtes Unternehmen gefährden, da ich das Pech habe, dass während der Zollankündigung Spiele im Wert von über 800.000 US-Dollar hergestellt oder per Schiff transportiert werden“. Auch Rock Manor Games verschiebt bereits Pledge Manager, um die Situation abzuwarten.
Keine einfache Alternative: Produktion verlagern?
Die naheliegende Frage: Warum nicht einfach woanders produzieren, etwa in den USA oder Europa? Die Antwort ist ernüchternd. Meredith Placko stellt klar: „Die Infrastruktur für eine umfassende Brettspielproduktion – Herstellung spezieller Würfel, Stanzen, kundenspezifische Kunststoff- und Holzkomponenten – ist hier [in den USA, Anm. d. Red.] noch nicht wirklich vorhanden.“ Auch Jamey Stegmaier (Stonemaier Games, "Flügelschlag", "Scythe") bestätigt: „Die Herstellung der Arten von Spielen, die wir machen, ist in den USA keine Option.“ Allein die Kosten einer Pappschachtel die in der US Produziert werden, übertreffen mit Preis von 10 US$ den Preis eines kompletten Spiels, dass in China gefertigt wird betont Stegmaier.
Justin Jacobson von Restoration Games geht noch weiter: „Den meisten Leuten ist nicht klar, dass es buchstäblich unmöglich ist, die meisten Hobbyspiele in den USA herzustellen [...] Ich meine buchstäblich unmöglich.“ Zwar gibt es Produktionsstätten in Europa (z.B. in Polen oder Deutschland), aber eine kurzfristige, vollständige Verlagerung der globalen Produktion ist unrealistisch und oft mit höheren Grundkosten verbunden.
Stimmen aus der Branche: Zwischen Schock und Existenzangst
Die Stimmung in der Branche ist gedrückt. Jamey Stegmaier schreibt in seinem Blog: „Letzte Nacht habe ich versucht, an einem neuen Spiel zu arbeiten [...], aber es ist wirklich schwer, etwas für die Zukunft zu schaffen, wenn diese Zukunft so düster aussieht. Ich starrte die meiste Zeit nur verständnislos auf die enorme Höhe der neu angekündigten 54-prozentigen Zölle“. Rob Daviau (Restoration Games, "Pandemic Legacy") sprach schon vor Monaten von einer "existenziellen Krise für unsere Branche". Zur aktuellen Situation hat er die Befürchtung, dass die Menschen deutlich weniger Spiele kaufen werden. Sie werden stattdessen ihr „Pile of Shames“ spielen und wenn sie etwas kaufen, möglichst günstig online kaufen. Das wäre eine immense Belastung für den Lokalen Handel, der wichtig für eine lebendige Spielkultur sei.
Die Unsicherheit lähmt die Planung. Ein anonymer Verleger fasst es auf BoardGameGeek zusammen: „Die Antwort ist: Wir wissen es einfach noch nicht. [...] Wir leben in Unsicherheit. Wir werden unser Bestes tun, um zu überleben.“ Verlage überdenken ihre Release-Pläne, verschieben Projekte oder fokussieren sich auf kleinere Produktionen und den Direktvertrieb. Den Direktvertrieb nimmt auch Alley Cat Games als Option, denn dabei verkaufen die Hersteller die Spiele direkt ohne Zwischenhändler an Endkunden. Die 50% Marge für den Handel entfällt und entsprechend mehr Geld bleibt beim Verlag als Marge.
Was bedeutet das für uns Spieler auch hierzulande?
Neben potenziell deutlich höheren Preisen könnten die Zölle auch die Vielfalt und Qualität der Spiele beeinflussen. Verlage könnten aufwendige Produktionen mit vielen Miniaturen oder speziellen Komponenten scheuen. Der Fokus könnte sich auf einfachere, kostengünstiger zu produzierende Spiele verschieben. Auch die Verfügbarkeit könnte leiden, wenn Verlage weniger Risiko eingehen und kleinere Auflagen drucken. Verlage könnten dazu übergehen vor allem auf sichere Verkäufe abzuzielen und damit eher Spiele für den Massenmarkt produzieren, statt kreative Wagnisse einzugehen.
Lokale Spieleläden, die ohnehin unter Druck stehen, könnten durch steigende Preise und eine Verlagerung zum Online-Direktkauf weiter geschwächt werden. Kickstarter-Projekte könnten ausfallen, weil die Kosten nicht kalkuliert wurden und dann die Lieferung in die USA nicht mehr bezahlbar ist vom vorhandenen Budget. Auch große Verlage die für viele tausend US$ auf Lieferungen warten könnten finanzielle Probleme bekommen, wenn die Zölle bei 54% liegen oder wie schon durch die US-Regierung angedroht auf 104% für Lieferungen aus China ansteigen.
Fazit: Ein Sturm zieht auf
Die US-Zölle sind weit mehr als nur eine amerikanische Angelegenheit. Sie bedrohen die wirtschaftliche Grundlage einer global vernetzten Branche und könnten das Hobby Brettspiel, wie wir es kennen und lieben, nachhaltig verändern. Höhere Preise, geringere Vielfalt, finanzielle Not bei Verlagen und Händlern – die Aussichten sind düster. Wie stark die Auswirkungen letztlich sein werden und ob die Branche Wege findet, diesen Sturm zu überstehen, bleibt abzuwarten.
Vielleicht wird dadurch in Zukunft das Print & Play mehr in den Fokus rücken. Statt ein Spiel physisch zu kaufen kann es auch selbst ausgedruckt werden. Selbst hübsche Minis sind dank weit verbreiteter 3D Drucker möglich. Zudem braucht nicht jedes Spiel XXL-Material um auf dem Spieltisch zu überzeugen. Vielleicht schafft die Branche auch einen kreativen Weg zu finden, um mit den Herausforderungen umzugehen.
Weitere Auswirkungen haben wir hier festgehalten.
Quellen