TEST // ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS

TEST // ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS

Die Mittelalterthematik bei Brettspielen dürfte eine der am weitesten verbreitete Thematik sein, die auf den Wohnzimmertischen landet. Die Faszination von der größten Rittermacht, riesigen Schlössern und dem Hofleben ist ein echter Dauerbrenner und macht es neuen Spielen mit dieser Thematik nicht sonderlich leicht. ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS versucht aber genau das, und zwar mit Steuerhinterziehung, Schwarzmärkten und der Frage, wer den Herrscher mit seinen Bauwerken am meisten beeindrucken kann, um seinen Adelstitel zu behalten.

 

infos zum spiel

ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS wurde von BSN gekauft.
Auf die Bewertung hat das keinen Einfluss.

 

Darum geht es im Spiel!

 

Bei ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS übernehmen 1-5 Spieler die Rollen von Fürsten, die jeweils mit allen Mitteln versuchen, den König des Reiches mit ihren Bauwerken zu überzeugen. Prinzipiell nutzt das Spiel dafür typische Worker-Placement-Mechaniken, die jedoch einen neuen Twist bekommen (dazu gleich mehr). Das Ziel des Spiels ist es, durch seinen Einfluss beim Bau der örtlichen Kathedrale oder durch die Kombination verschiedener Gebäude die meisten Siegpunkte am Ende des Spiels zu besitzen.

Wie bei den meisten Eurogames üblich, erhält jeder Spieler zu Beginn des Spiels Arbeiter in einer gewählten Spielerfarbe, ein Spielertableau und eine Starthand aus Gebäudekarten. Um die Starthand zu bilden, erhält jeder Spieler 4 Karten, wählt von diesen 4 Karten eine Karte aus und reicht den Rest an seinen Tischnachbarn weiter, bis alle Spieler 3 Startkarten ihr Eigen nennen.

Die Karten selbst sind sehr klar strukturiert und geben den Spielern die nötigen Informationen, um die Drafting-Phase sehr schnell und flüssig zu gestalten. Jede Karte besteht dabei aus 3 Teilen: Am oberen linken Rand befinden sich die Voraussetzungen, wie nötige Ressourcen oder für den Bau benötigte Fähigkeiten, in der oberen rechten Ecke sind die Siegpunkte angezeigt, die das Gebäude zum Ende des Spiels einbringt, und schlussendlich befindet sich der Karteneffekt am unteren Rand. Bei den Karteneffekten wird zusätzlich differenziert zwischen einem sofortigen Effekt und Effekten, die am Ende des Spiels in Kraft treten.

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Ähnlich simpel gestalten sich die Spielerrunden an sich, da eine Spielerrunde aus einer einzigen Aktion besteht. Wie bereits erwähnt, nutzt DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS eine Worker-Placement-Mechanik, wodurch diese eine Aktion des Spielers darin besteht, einen Arbeiter auf eines der Felder zu platzieren und die dort angegebenen Ressourcen einzusammeln oder Effekte abzuhandeln.

Anders als bei der standardmäßigen Worker-Placement-Mechanik werden diese Aktionen aber immer stärker, umso mehr eigene Arbeiter bereits auf dem Feld stehen. Während ein einzelner Arbeiter ein einzelnes Holz sammelt, kann der Spieler im nächsten Zug mit dem Platzieren eines weiteren Arbeiters gleich 2 Holz einsammeln. Diese Effekte sind kumulativ, was bedeutet, dass ein Spieler 20 Holz auf einmal einsammeln könnte, wenn er 20 Arbeiter im Wald platziert hat.

Diese Gier nach Holz birgt jedoch eine Gefahr. Die anderen Mitspieler könnten jederzeit den Arbeitern im Wald vorwerfen, Böses im Schilde zu führen, und sie alle wegen „übler Machenschaften“ ins Gefängnis werfen.

Wenn ein Spieler einen Arbeiter auf den Marktplatz setzt, kann er für die Abgabe von einer Münze die Arbeiter eines anderen Spielers gefangen nehmen, um sie in einem späteren Zug für Geld an das Gefängnis auszuliefern. Besonders schmerzhaft ist dies, weil die Arbeiter begrenzt sind und ein Spieler ohne Arbeiter keine Aktion ausführen kann, außer einen Arbeiter vom Spielfeld wieder in seinen Vorrat zu nehmen.

Befinden sich aber Arbeiter im Gefängnis oder zu Gast in der Gefangenschaft von Mitspielern, kann der jeweilige Spieler sie (im Fall einer Gefängnisstrafe) beim Einsatz eines Arbeiters kostenlos aus dem Gefängnis holen oder für 5 Münzen aus der Gefangenschaft des Mitspielers befreien. Hat ein Spieler genug Ressourcen gesammelt, um ein Gebäude aus seiner Hand zu errichten, kann er einen Arbeiter dauerhaft auf die „Zunftleiste“ legen und das Gebäude zu seinem Spielertableau legen.

Für viele Gebäude werden aber neben Ressourcen, wie Steine und Holz, auch Fähigkeiten benötigt, die durch das Anheuern von Lehrlingen erfüllt werden können. Lehrlinge können die unterschiedlichsten Effekte besitzen, verbessern aber zumeist bestimmte Aktionen, die der jeweilige Spieler ausführt (besitzt der Spieler zum Beispiel die Holzfällerin, so erhält er jedes Mal im Wald ein Holz mehr).

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Zusätzlich zu diesen Effekten kann ein Lehrling aber auch die Gesinnung eines Spielers beeinflussen. Bei der Gesinnung handelt es sich um eine Leiste am Rande des Spielfeldes, die Vor- und Nachteile mit sich bringen kann. Hat ein Spieler am Ende des Spiels eine sehr hohe Gesinnung, erhält er Bonuspunkte, während er bei einer niedrigen Gesinnung Punkte verliert.

Was ist der Vor- und Nachteil an Bonus- und Minuspunkten? Nun ja, Spieler mit einer hohen Gesinnung erhalten zwar viele Bonuspunkte zum Ende des Spiels, können aber sehr früh auf der Leiste nicht mehr vom Schwarzmarkt profitieren, weil ihre Ehre es verbietet (der Schwarzmarkt gibt sehr günstig sehr wichtige Ressourcen, senkt aber die Gesinnung des jeweiligen Spielers bei jeder Nutzung).

Spielern mit niedriger Gesinnung steht dabei der Schwarzmarkt weit offen, jedoch ist es ihnen verwehrt, an der Kathedrale der Stadt mitzuwirken, die eine der verlässlichsten Punktequellen darstellt. Neben dem Schwarzmarkt erhalten diese Spieler aber noch einen weiteren Bonus, da sie ab einer bestimmten Gesinnung anfangen können, Steuern zu hinterziehen. Wenn die Spieler Münzen bei bestimmten Aktionen zahlen müssen, ist ein bestimmter Geldbetrag dieses Preises meist eine Steuerabgabe, die im Steueramt gelagert wird. Diese Abgabe können Spieler mit niedriger Gesinnung schmälern oder teilweise ganz umgehen, während sie im Bestfall noch das Steueramt ausrauben und sich die Steuern der anderen Spieler unter den Nagel reißen.

Die gesetzestreuen Spieler können sich derweil um die Kathedrale streiten. Bei der Kathedrale kann weitergebaut werden, indem ein Spieler während einer Bau-Aktion eine Gebäudekarte von seiner Hand abwirft und die Kosten der jeweiligen Kathedralen-Stufe zahlt. Dabei kann immer nur eine gewisse Anzahl an Spielern an bestimmten Stufen arbeiten, bis die letzte Stufe nur noch von einem einzelnen Spieler erklommen werden kann.

Das Spiel endet, sobald eine gewisse Anzahl an Bau-Aktionen durchgeführt worden ist, also eine gewisse Anzahl an Arbeitern auf der „Zunftleiste“ liegt. Nun zählen die Spieler ihre Gebäudepunkte, die Punkte von Gebäudeeffekten, ihre Gesinnungspunkte sowie die Punkte der Kathedrale zusammen und ermitteln so den Sieger.

 

Verschiedene Spielvarianten

 

DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS bietet verschiedene Spielmodi, die sich sehr gut für die unterschiedlichsten Spielergruppen und Spieleranzahlen eignen. Das Spiel bietet einen Solo-Modus, bei dem ein Spieler gegen einen KI-Gegner antritt, dessen Schwierigkeit verstellbar ist. Zusätzlich kann dieser Modus auch mit einer weiteren Person als 2 vs. Bot gespielt werden, bei dem zwei Spieler kooperativ gegen den KI-Gegner antreten.

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Für das normale Spiel kann ein variabler Spielaufbau genutzt werden, bei dem jeder Spieler je nach Charakter mit unterschiedlichen Start-Ressourcen und Fähigkeiten startet. Diese unterscheiden sich dabei teilweise stark, sodass je nach Charakter unterschiedliche Strategien von Nöten sind.

 

Das Material

 

DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS bietet für seine handliche Spielschachtel umfangreiches und qualitatives Material. Enthalten sind 20 Arbeiter aus Holz in 5 verschiedenen Farben, 40 Gebäudekarten, 40 Lehrlingskarten, 5 Spielertableaus in den jeweiligen Farben, Holzmarker für die Ressourcen in unterschiedlichen Formen und Farben, sowie weitere kleine Karten, unter anderem für den Schwarzmarkt.

Die Qualität beim gesamten Material ist sehr hoch. Die Ressourcen-Token besitzen jeweils eigens hergestellte Formen, das Spielfeld sowie die Spielertableaus bestehen aus robustem Material und auch die Karten fühlen sich hochwertig an, obwohl hier beim häufigen Gebrauch Kartenhüllen zu empfehlen sind. Der Druck und das Design des Spiels sind sehr stimmig. Das Artwork fügt sich sehr gut in das Gesamtbild des Spiels ein und zeigt sich sehr farbenfroh und abwechslungsreich. Die Lehrlinge besitzen 16 unterschiedliche Designs, wobei sich diese zwar wiederholen. Jedoch unterscheiden sich die Karten durch den jeweiligen Karteneffekt, sodass genug Diversität gegeben ist, damit sich die gleichen Designs nicht zu häufig wiederholen.

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Das Regelwerk erklärt die Regeln äußerst präzise und stellt wichtige Regeln in kleinen Merksätzen farblich heraus, was in vielen Situationen sehr hilfreich ist. Besonders durch die sehr gute Struktur und die veranschaulichenden Beispiele kann das Spiel sehr schnell und leicht anhand des Regelwerkes erlernt werden.

Da sich das Spiel bei Karteneffekten oder andere Anzeigen auf dem Spielfeld ausschließlich durch Symbole mitteilt, ist ebenfalls ein Appendix-Heft enthalten, das separat vom Regelwerk beiliegt und alle Karteneffekte sowie die Regeln der alternativen Spielmodi erklärt.


DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS ist sehr schwer kompakt in eine Rezension zu fassen, die sich nicht über 5 Seiten erstrecken möchte. Besonders bei den Themen „Steuern“ und „Kathedralenbau“ verstehe ich es, wenn Leser die Spielerklärung übersprungen und direkt zum Fazit vorgespult haben. Aber unter dieser grau anmutenden Fassade befindet sich ein geschliffener Diamant.

DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS hat es mit seiner Mechanik geschafft, die ich persönlich schon zigfach in der Sammlung habe, ein neues und innovatives Spielgefühl auszulösen. Wie genau? Alle Aktionen des Spiels sind miteinander verwoben und bilden meist mit den Effekten von Gebäuden eine Kombo-Kette, die sich nach und nach wie bei einem Enginebuilder entfaltet. Die Wege und Kombinationen, die den Spielern dabei offenstehen, können so angepasst werden, dass jeder Spieler einen eigenen Spielstil entwickeln kann.

Natürlich sind die Spieler durch die Siegpunktverteilung für das Bauen der Kathedrale und das Errichten der Gebäude in den Mitteln eingeschränkt, aber durch die verschieden kombinierbaren Gebäude entfalten sich bei jedem Spiel neue Strategien, den Gegnern einen Schritt voraus zu sein. Das Spiel baut dabei auf einem großen Strategie-Baustein auf, bei dem das Glück sehr minimal ist.

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Natürlich ist ein kleiner Glücksfaktor durch das Ziehen der Gebäude- und Lehrlingskarten gegeben, jedoch ist dieser Faktor kaum bis nicht siegentscheidend. Das liegt daran, dass die Spieler zu keinem Zeitpunkt an eine Strategie gebunden sind, die sie zu Beginn des Spiels verfolgt haben. Gesinnungen sind mit Vorbereitung leicht zu ändern, sodass eine niedrige Gesinnung sehr schnell zu einer hohen werden kann, und auch die Effekte von Gebäudekarten interagieren sehr gut mit anderen Gebäuden zusammen, sodass „die eine wichtige Karte“ bei guter Planung keinen Unterschied zwischen Sieg und Niederlage macht.

Da das Spiel sich komplett über Symbole erklärt, ist es beim ersten Spieldurchlauf noch recht mühselig, die verschiedenen Bedeutungen zu lernen. Durch das Appendix und die permanente Wiederholung der gleichen Symbole gestaltet sich dieser Prozess aber problemlos, sodass das Spiel sprachbarrierenfrei gespielt werden kann. Durch den variablen Spielaufbau kommt zusätzliche Abwechslung in das Spiel sowie die Möglichkeit, erfahreneren Spielern „schwächere“ Charaktere zuzuweisen, damit ein angepasstes Spielerniveau erzeugt werden kann.

Mit „schwächer“ ist in diesem Kontext gemeint, dass die speziellen Fähigkeiten der Charaktere unterschiedlich schwer und effektiv einsetzbar sind. Während ein paar Charaktere über sehr starke und einfache Fähigkeiten verfügen, sind andere sehr schwer mit verschiedenen Strategien kombinierbar, sodass sie den Spieler eher einschränken.

In einem normalen Strategiespiel ist dies ein großer Nachteil, weswegen ich in diesen Fällen immer empfehle, den normalen Spielaufbau zu wählen, für Spielergruppen, denen pure Strategie aber zu langweilig ist, ist diese Option eine gelungene Alternative. Auch die „Downtime“ der anderen Spieler hält sich sehr in Grenzen. Da die Spieler nur einen einzelnen Arbeiter platzieren, ohne großartige Effekte und Effekt-Ketten auszulösen, kommt diese gar nicht zu Stande (manchmal dauert es keine Minute bis ein Spieler wieder am Zug ist).

Ein Nachteile ist an dem speziellen Worker-Placement-System des Spiels aber dennoch zu finden. So interessant es auch sein mag, dass viele Figuren sich gegenseitig unterstützen können, so unübersichtlich wird das Spielfeld aber bei großen Spielerzahlen auch. Da jeder Spieler seine Arbeiter auf die gleichen Flächen (bis auf den Schwarzmarkt, da hier immer nur eine Figur pro Fläche platziert werden darf) legen darf, ist das Spielfeld schnell ein großes Gewusel an Farben.

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Hierbei ist es hilfreich, früh ein System zum gebündelten Positionierens der Arbeiter eines Spielers einzuführen. Ein weiterer Kritikpunkt bilden die Lehrlinge. Im Grundspiel sind diese eher zu vernachlässigen. Zwar unterstützen sie mit ihren Effekten an einigen Stellen, teilweise können aber ganze Spiele gespielt und gewonnen werden, ohne jemals einen der Lehrlinge zu beachten.

Meiner Meinung nach haben die Neuseeländer von Graphil Games hier ein außergewöhnliches Eurogame abgeliefert (so lustig diese Kombination auch klingt). Durch die Innovationen und das Design ist das Spiel auch ohne eine außergewöhnliche Thematik oder besonders ausgefallene Mechaniken so besonders, dass es sich auch zwischen den vielen anderen Worker-Placement-Spielen in meiner Sammlung behaupten kann.

Die Umsetzung der Kombination von Gesinnungen, Steuern und dem Gefangennehmen gegnerischer Arbeiter lässt ohne große Geschichte das Gefühl von Intrigen und Opportunismus der Fürsten der Karolingerzeit aufkommen. Vielleicht spricht da der Geschichtsstudent aus mir, aber für mich stellt DIE ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS eines der besten Eurogames dar, das in den letzten Jahren auf meinem Tisch gelandet ist.

Strategen, die besonderen Wert auf Kombinationen von Aktionen und besonders wenig auf Glück legen, können hier ohne Bedenken glücklich werden. Durch den variablen Aufbau und die 2 bzw. 1 Spieler-Modi gestaltet sich das Spiel aber auch attraktiv für Familien mit älteren Kindern und Gelegenheitsgruppen.

 

Wertung zum spiel

 

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Bilder vom Spiel

Tags: Kennerspiel, Ressourcenplacement, 90 Minuten, Mittelalter, 1-5 Spieler, Worker Placement, Eurogame, Strategie

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