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KOMMENTAR // ZEIT-Artikel: “Gewinnen ist was für Verlierer?”

KOMMENTAR // ZEIT-Artikel: “Gewinnen ist was für Verlierer?”

Am 21.3.2020 veröffentlichten die Autoren Dirk Peitz und David Hugendick einen sehr kontroversen Artikel mit „Pro“ und „Contra“ zum Thema Brettspiele. Grundsätzlich gilt, dass es ein Meinungsartikel ist und infolgedessen, die Autoren selbstverständlich ihre freie Meinung zu einem beliebigen Thema veröffentlichen können

Von einem etablierten, seriösen Medium wie ZEIT-Online erwarte ich allerdings, dass Artikel auf Basis gewisser Expertise verfasst werden und dass ein Ressortleiter nicht über Themen referiert, von denen er keine Ahnung zu haben scheint und auch keinen Willen zur Recherche erkennen lässt. Vor allem erwarte ich, dass ein Artikel nicht pauschal eine Gruppe von Menschen diskreditiert.

 

Hier eine kurze, kommentierte Zusammenfassung der Meinung von Dirk Peitz, seines Zeichens Ressortleiter Kultur:

Wer sich für Brettspiele interessiert, wird schon den ersten Satz als Schlag in das Gesicht empfinden: „Denkt man die Tage über etwas derart Banales wie Brettspiele nach […]“ heißt es dort. Im Anschluss wird ein Rahmen gesetzt, der alle Spieler als dekadente, wohlhabende, weltfremde Menschen darstellt, die die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Im nächsten Abschnitt folgt die Definition von Spielen als nicht zu rechtfertigende Zeitverschwendung. Das alles ohne Begründung, aber offensichtlich aus tiefster Überzeugung des Autoren.

Den Versuch, schließlich doch noch etwas zu begründen, hat Dirk Peitz unternommen. Dieser endet jedoch in der banalen Erkenntnis (um im Wortgebrauch des Autors zu bleiben), „[…] dass Spiele nur gespielt werden, um zu gewinnen.“ Aus der Sicht von Dirk Peitz ist das „sogenannte Spielen“ lediglich ein „stundenlanges Herumsitzen“, bei dem alle darauf warten, dass es vorbei sei.

Nebenbei unterstellt er Spielern ihre nächsten Mitmenschen auf Grund des Coronavirus zu gefährden. Er hat wohl nicht mitbekommen, dass nahezu alle Veranstaltungen, egal ob privat oder öffentlich, abgesagt wurden. Gespielt wird in der Regel nur noch in der häuslichen Gemeinschaft oder über Angebote, wie z.B. den Tabletop-Simulator.

Eine weitere Steigerung findet statt, indem er das Spielen sogar als „Vermeidungsgeste“ deklariert, wo das Spiel nur über eine kaputte Beziehung hinwegtäuschen solle. Spielen sei nur ein „[…] absurder Akt des Aussitzens […]“. Sieg und Niederlage nobilitieren einen „faktischen unhaltbaren Zustand des […] sozialen Nichtmiteinanders.

Dirk Peitz äußert im vorletzten Abschnitt, dass er lieber stundenlang ins Nichts starre und darüber nachsinne, wie er ein besserer Mensch werden könne. Als Abschluss und Zusammenfassung seiner Äußerungen hält er fest, dass seine Zeit zu wertvoll sei, um Spielregeln zu lernen, nur damit ein optisch unschönes Spiel gespielt werde. Es gebe lediglich das Ziel, dass ein Spieler sich am Ende als Sieger fühle. Gewinnen sei hier nur für Verlierer! (Quelle: ZEIT-Online.de)

 

Mein offener Brief an Dirk Peitz

 

Lieber Dirk Peitz,

wir kennen uns nicht und Sie wissen nichts über mich. Trotzdem gestatten Sie sich auf der großen Bühne von ZEIT-Online, grundlos und ohne die Anwesenheit von zu Grunde liegendem Wissen, pauschal alle analogen Spieler zu beleidigen und herabzuwürdigen. Sie unterstellen uns pauschal Fahrlässigkeit im Umgang mit dem Coronavirus und maßen sich an, uns als homogene Gruppe zu bewerten. Das finde ich weder angebracht noch im Sinne des Pressekodex korrekt. Selbst wenn es um einen Meinungsartikel geht, sollte das Niveau doch über dem eines Stammtischgespräches nach viel zu viel Bier liegen. Wie Sie wissen sollten, sind wir Menschen unterschiedlich und das pauschale Bewerten erwarte ich dann eher aus anderen Richtungen.

Tatsächlich erscheint es, als würden Sie anhand von einigen Partien Monopoly sämtliche Spiele und Spieler bewerten. Das ist so, als würde ein Veganer über den Geschmack von Blutwurst urteilen oder alle Kinofilme und Kinobesucher würden anhand von nur einem schlechten Film beurteilt werden. Generell erschließt sich mir die brüchige Logik hinter dem Contra-Artikel nicht, das liegt nicht an falschen Argumenten, sondern an der schlichten Abwesenheit solcher. Alles Geschriebene entstammt ausschließlich der sehr eingegrenzten Wahrnehmung von Ihnen und sagt viel mehr über Sie aus als über die vielen Menschen weltweit, die das Hobby Brettspiele haben. 

Es gibt einen weltweiten Trend zurück zum Analogen, als Ausgleich zum Digitalen, wo die Spieler in der Regel allein sind. Es ist kein deutsches, dekadentes Phänomen, dass Menschen Brettspiele gut finden. Ich muss zugeben, dass Brettspiele ein Luxusgut sind, aber dennoch gehören und gehörten sie in allen Zeiten und Lagen immer auch zur Kultur der Menschen, weltweit!

Eine simple Google-Suche hätte helfen können, die Eindimensionalität Ihrer Meinung zu erkennen!

Spielen ist ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens und gerade die Kommunikation untereinander ist für viele Menschen ein wichtiger Aspekt. Es geht darum, andere Menschen im Spiel einschätzen zu können, sich mit ihnen zu messen. Aus meiner Sicht gilt hier: “der Weg ist das Ziel”. Zudem gibt es einen Trend hin zu kooperativen Spielen, wo die Spieler und Spielerinnen gemeinsam versuchen, gegen das Spiel zu gewinnen.

Ein wissenschaftlicher Essay auf hypotheses.org setzt sich folgendermaßen mit dem Thema auseinander:

Es geht ums Gemeinsame, [...] dass man in der Gruppe etwas unternimmt und nebenbei dann spielt“. Der Aspekt des Gewinnens ist zwar wichtig, aber im Inneren der Spielsituation stehen die Interaktion und das Ziel, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Weiter heißt es dort:

Zusammenfassend sind die Praktik des Spielens und dessen erfolgreiche Durchführung als soziales Event, vor allem von der Kommunikation und der Interaktion der Teilnehmer_innen abhängig.“ Ich empfehle Ihnen, den Text komplett durchzulesen, nur für den Fall, dass Sie noch einmal über Brettspiele schreiben möchten: https://soziologieblog.hypotheses.org/9587.

Im Buch „Rettet das Spiel!“ von Hirnforscher Gerald Hüther und dem Philosophen Christoph Quarch wird gedeutet: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Was Schiller einst dachte, bestätigt heute die Hirnforschung: Im Spiel entfalten Menschen ihre Potenziale, beim Spiel erfahren sie Lebendigkeit.“ Die beiden Autoren haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und ich kann Ihnen die Lektüre nur empfehlen: Hier gibt es das Buch.

Des Weiteren möchte ich noch anmerken, dass Ihre alternative Beschäftigung, die so viel besser sein soll als Brettspiele, in der Tat auch ein Spiel ist. Ihr Sinnieren über das „besserer Mensch“ werden ist ein Gedankenspiel - ein spielerisches Entwickeln von “was wäre, wenn”-Szenarien und diese in Gedanken durchzuspielen. Meine letzte Frage lautet “Was wäre, wenn Sie sich mit Themen weniger von oben herab und ernsthaft auseinandersetzen würden, bevor Sie darüber schreiben?“ 

Liebe Grüße,
Ihr Daniel Krause

Tags: Kommentar, Branche

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